Präsentismus in Projekten: Herausforderungen, Risikomanagement und Lösungen für BGM und SiFa
1. Einleitung:
In der modernen Arbeitswelt ist das Phänomen des Präsentismus – das Erscheinen am Arbeitsplatz trotz Krankheit – ein wachsendes Problem mit weitreichenden Auswirkungen. Dieses Verhalten kann, obwohl es oft aus einem Gefühl der Verpflichtung oder aus wirtschaftlichen Gründen resultiert, sowohl für den betroffenen Mitarbeiter als auch für das gesamte Unternehmen negative Folgen haben. Insbesondere im Kontext des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) und der Rolle von Sicherheitsfachkräften (SiFa) stellt sich die Frage, wie man mit dieser Thematik umgeht und welche präventiven Maßnahmen ergriffen werden können, um die Gesundheit und Sicherheit aller Mitarbeiter zu gewährleisten. In dieser Ausarbeitung werden wir uns eingehend mit dem Präsentismus beschäftigen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf den Herausforderungen und Lösungsansätzen im Zusammenhang mit BGM und SiFa liegt.
2. Definition und Hintergrund:
- Was ist Präsentismus? Präsentismus bezeichnet das Verhalten von Arbeitnehmern, trotz bestehender Krankheit oder gesundheitlicher Einschränkungen an den Arbeitsplatz zu kommen und ihre Arbeit fortzusetzen. Es handelt sich um das Gegenteil des Absentismus, bei dem Mitarbeiter aufgrund von Krankheit oder anderen Gründen abwesend sind. Präsentismus kann aus verschiedenen Motiven resultieren, darunter Angst vor Arbeitsplatzverlust, wirtschaftliche Notwendigkeiten, fehlende Vertretungsmöglichkeiten oder das Gefühl, dem Team nicht zur Last fallen zu wollen.
- Aktuelle Daten und Tendenzen: Laut einer kürzlich durchgeführten Datenanalyse der Techniker Krankenkasse zeigen sich steigende Tendenzen von Präsentismus, insbesondere bei Mitarbeitern, die vermehrt im Homeoffice tätig sind. Hier gaben 46 Prozent der Befragten an, im heimischen Büro zu arbeiten, obwohl sie sich krank fühlten. Dieses Phänomen ist jedoch nicht nur im Homeoffice zu beobachten. Auch in Präsenzbüros und auf Baustellen ist es keine Seltenheit, dass Mitarbeiter trotz Krankheit an ihrem Arbeitsplatz erscheinen. Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass auch Freiberufler, die oft auf Projektbasis arbeiten, aus Angst vor Einkommensverlust krank zur Arbeit kommen und damit potenziell die Gesundheit des gesamten Teams gefährden können. Es ist wichtig zu betonen, dass Präsentismus nicht nur die Produktivität beeinträchtigt, sondern auch das Risiko von Arbeitsunfällen und die Ausbreitung von Krankheiten im Team erhöht.
3. Besondere Herausforderungen durch Freiberufler:
- Warum Freiberufler trotz Krankheit arbeiten gehen: Freiberufler stehen oft vor besonderen wirtschaftlichen Herausforderungen, da sie in der Regel nicht denselben sozialen Schutz genießen wie festangestellte Mitarbeiter. Dazu zählen beispielsweise keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder fehlende Urlaubstage. Daher kann das Aussetzen eines Arbeitstages oder gar mehrerer Tage wegen Krankheit erhebliche finanzielle Auswirkungen haben. Außerdem kann die Furcht, einen Kunden oder ein Projekt zu verlieren, weil man nicht verfügbar ist, zu dem Druck beitragen, auch krank arbeiten zu gehen.
- Das Dilemma: Einkommensverlust vs. Gesundheitsrisiko für alle Mitarbeiter: Für Freiberufler stellt sich oft die schwierige Entscheidung, ob sie das Risiko eines Einkommensverlustes in Kauf nehmen oder das gesundheitliche Risiko für sich selbst und andere in einem gemeinsamen Arbeitsumfeld eingehen. Es ist ein Balanceakt zwischen dem eigenen wirtschaftlichen Wohl und der Verantwortung gegenüber anderen. Diese Situation wird noch komplizierter, wenn ein Projekt zeitkritisch ist oder wenn es keine adäquaten Ersatzmöglichkeiten für den Freiberufler gibt. Es bedarf daher spezieller Sensibilität und Richtlinien seitens der Auftraggeber und Arbeitgeber, um sicherzustellen, dass Freiberufler sich bei Krankheit erholen können, ohne ihre Existenz zu gefährden.
4. Folgen von Präsentismus in Projekten:
- Sicherheitsrisiken in Projekten durch kranke Mitarbeiter: Wenn kranke Mitarbeiter an einem Projekt teilnehmen, kann dies zu erhöhten Sicherheitsrisiken führen. Ihre körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit kann beeinträchtigt sein, wodurch Fehler, Unaufmerksamkeiten oder Unfälle wahrscheinlicher werden. Besonders in sicherheitskritischen Bereichen oder bei Tätigkeiten, die hohe Konzentration erfordern, können diese Risiken gravierende Auswirkungen haben.
- Auswirkungen auf die Produktivität und Effizienz des Projekts: Präsentismus kann zu einer Abnahme der Arbeitsqualität und -geschwindigkeit führen. Kranke Mitarbeiter sind möglicherweise nicht in der Lage, auf ihrem üblichen Niveau zu arbeiten, was zu Verzögerungen, Fehlern oder einer geringeren Arbeitsausgabe führt. Zudem kann dies auch die Moral und Motivation des gesamten Teams beeinträchtigen, da die zusätzliche Arbeitsbelastung oft auf andere Teammitglieder verteilt wird.
- Mögliche langfristige Folgen für das Projekt und die beteiligten Mitarbeiter: Abgesehen von den unmittelbaren Auswirkungen kann Präsentismus auch langfristige Folgen haben. Ein einmaliger Vorfall kann zu anhaltenden gesundheitlichen Problemen für den betroffenen Mitarbeiter führen, was wiederum langfristige Auswirkungen auf seine Produktivität und Verfügbarkeit hat. Für das Projekt kann dies bedeuten, dass wichtige Fristen nicht eingehalten werden, das Budget überschritten wird oder die Qualität des Endprodukts leidet. Für die Mitarbeiter kann dies zu erhöhtem Stress, Burnout und weiteren gesundheitlichen Problemen führen. Es kann auch das Arbeitsklima und die Teamdynamik negativ beeinflussen, wenn das Problem des Präsentismus nicht angegangen wird.
5. BGM (Betriebliches Gesundheitsmanagement) und SiFa (Sicherheitsfachkraft): Rolle und Verantwortung:
- Präventive Maßnahmen gegen Präsentismus: BGM und SiFa spielen eine entscheidende Rolle bei der Implementierung präventiver Maßnahmen. Dies kann die Einführung flexibler Arbeitsmodelle, Krankheitsmanagementprogramme oder auch Beratungsangebote für Mitarbeiter umfassen. Ein effektives Krankheitsmanagement kann dazu beitragen, die Auswirkungen von Krankheiten auf das Arbeitsumfeld zu minimieren und die Erholung der Mitarbeiter zu unterstützen.
- Gesundheitsmanagement und -überwachung in Projekten: BGM kann spezielle Gesundheitsüberwachungsprogramme in Projekten implementieren, um das Wohlbefinden der Mitarbeiter regelmäßig zu überprüfen. Dies kann helfen, potenzielle gesundheitliche Probleme frühzeitig zu identifizieren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. SiFa kann spezifische Sicherheitsprotokolle und -richtlinien für Projekte erstellen und überwachen, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeiter in einem sicheren Arbeitsumfeld arbeiten.
- Schulung und Sensibilisierung von Projektteams über die Risiken des Präsentismus: Ein zentraler Aspekt der Rolle von BGM und SiFa besteht darin, das Bewusstsein für die Risiken und Folgen des Präsentismus zu schärfen. Durch Schulungen, Workshops oder Informationsveranstaltungen können Mitarbeiter über die Gefahren des Arbeitens trotz Krankheit aufgeklärt werden. Dies kann dazu beitragen, eine Kultur der Fürsorge und Unterstützung im Unternehmen zu fördern, in der Mitarbeiter ermutigt werden, sich bei Krankheit auszuruhen und sich zu erholen, anstatt das Risiko einzugehen, ihre Kollegen oder das Projekt in Gefahr zu bringen.
6. Lösungsstrategien für den Umgang mit Präsentismus:
- Anreize für Freiberufler, sich bei Krankheit abzumelden: Unternehmen könnten finanzielle oder andere Anreize für Freiberufler schaffen, die es ihnen erleichtern, sich bei Krankheit abzumelden, ohne Einkommensverluste zu befürchten. Dies könnte durch eine Art Krankentagegeld, eine Versicherungsoption oder durch Vertragsklauseln, die Krankheitstage berücksichtigen, umgesetzt werden.
- Einführung flexibler Arbeitsmodelle: Flexible Arbeitszeiten, Telearbeit oder Gleitzeitregelungen können es den Mitarbeitern erleichtern, ihre Arbeitszeiten an ihre gesundheitlichen Bedürfnisse anzupassen. Dadurch könnten Mitarbeiter bei ersten Anzeichen einer Krankheit von zu Hause aus arbeiten und so das Risiko einer Ansteckung für andere minimieren, während sie gleichzeitig ihre Aufgaben erfüllen können.
- Schaffung von Vertretungsmöglichkeiten in kritischen Projektphasen: Für Projekte mit straffen Zeitplänen oder in kritischen Phasen könnte die Einführung von Vertretungsmöglichkeiten hilfreich sein. Hierbei könnten Backup-Pläne entwickelt werden, bei denen bestimmte Schlüsselpersonen vorab identifiziert werden, die bei Bedarf einspringen können. Dies würde den Druck auf Einzelpersonen verringern, sich trotz Krankheit zur Arbeit zu begeben, da sie wüssten, dass ihre Aufgaben von jemand anderem übernommen werden könnten. Es ist auch wichtig, diese Vertretungen regelmäßig in den Projektfortschritt einzubeziehen, damit sie bei Bedarf nahtlos einspringen können.
7. Checkliste/Gefährdungsbeurteilung für den Umgang mit Präsentismus (für SiFa)
- Erkennung von Präsentismus:
- Gibt es auffällig häufige Fälle von Mitarbeitern, die trotz Krankheitssymptomen arbeiten?
- Zeigen Mitarbeiter Anzeichen von Erschöpfung oder vermindertem Wohlbefinden?
- Gibt es Mitarbeiter, die trotz wiederholter Krankheit keine Fehltage haben?
- Ursachenanalyse:
- Existieren finanzielle oder karrieretechnische Anreize, die Mitarbeiter trotz Krankheit zur Arbeit veranlassen könnten?
- Gibt es unzureichende Vertretungsregelungen, die den Druck auf die Mitarbeiter erhöhen könnten?
- Sind die Arbeitsbelastungen und -anforderungen, insbesondere für Freiberufler, angemessen?
- Kommunikation und Sensibilisierung:
- Werden regelmäßig Schulungen und Informationsveranstaltungen zum Thema Präsentismus und dessen Risiken durchgeführt?
- Gibt es klare Kommunikationskanäle für Mitarbeiter, um Bedenken hinsichtlich Präsentismus zu äußern?
- Prävention und Gesundheitsmanagement:
- Werden regelmäßige Gesundheitschecks für Mitarbeiter angeboten?
- Existieren Angebote wie z.B. Betriebsarztbesuche, Beratungsangebote oder psychosoziale Unterstützung?
- Arbeitsgestaltung und -organisation:
- Gibt es Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung, z.B. Homeoffice?
- Werden regelmäßige Pausen und Erholungsphasen gewährleistet?
- Existieren Regelungen zur Vertretung bei Krankheitsausfall?
- Risikobewertung:
- Welche kritischen Arbeitsbereiche oder -prozesse könnten durch Präsentismus besonders beeinträchtigt werden?
- Wie hoch ist das potenzielle Sicherheitsrisiko durch kranke Mitarbeiter in diesen Bereichen?
- Welche langfristigen Auswirkungen könnten sich für das Projekt und die beteiligten Mitarbeiter ergeben?
- Maßnahmenplanung und -umsetzung:
- Welche präventiven Maßnahmen könnten das Auftreten von Präsentismus reduzieren?
- Wie können bestehende Risiken minimiert oder eliminiert werden?
- Gibt es Möglichkeiten zur kontinuierlichen Überwachung und Anpassung der Maßnahmen?
- Feedback und Überwachung:
- Wird das Auftreten von Präsentismus regelmäßig überwacht und bewertet?
- Gibt es Feedback-Mechanismen, um die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen zu beurteilen?
- Werden Anpassungen und Verbesserungen kontinuierlich vorgenommen?
Nr. | Arbeitsschritt/ -bereich | Gefährdung | Maßnahme zur Gefährdungsverminderung | Verantwortlich | Überprüfungstermin |
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1 | Allgemeine Tätigkeit | Mitarbeiter kommen trotz Krankheitssymptomen zur Arbeit | Schulung und Aufklärung über Risiken des Präsentismus | SiFa | 01.12.2023 |
2 | Allgemeine Tätigkeit | Anzeichen von Erschöpfung oder vermindertem Wohlbefinden | Regelmäßige Gesundheitschecks anbieten | BGM | 15.12.2023 |
3 | Allgemeine Tätigkeit | Mitarbeiter melden sich trotz Krankheit nicht ab | Klare Kommunikationskanäle und Richtlinien für Krankmeldungen schaffen | HR/Personalabteilung | 10.12.2023 |
4 | Arbeitsgestaltung | Unzureichende Vertretungsregelungen | Einführung von Vertretungsregelungen in kritischen Bereichen | Projektmanager | 05.12.2023 |
5 | Arbeitsorganisation | Zu hohe Arbeitsbelastungen | Überprüfung und ggf. Anpassung der Arbeitsbelastung | Teamleiter | 20.12.2023 |
6 | Arbeitsgestaltung | Fehlende Möglichkeiten zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung | Einführung von flexiblen Arbeitsmodellen, z.B. Homeoffice | HR/Personalabteilung | 25.12.2023 |
7 | Gesundheitsmanagement | Fehlende präventive Maßnahmen | Angebote wie z.B. Betriebsarztbesuche, Beratungsangebote bereitstellen | BGM | 30.12.2023 |
8 | Risikobewertung | Kritische Arbeitsbereiche durch Präsentismus beeinträchtigt | Regelmäßige Risikobewertungen durchführen und Maßnahmen anpassen | SiFa | 15.01.2024 |
8. Fazit:
Die Problematik des Präsentismus, insbesondere im Kontext von Freiberuflern in Projekten, stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Das Bewusstsein dafür, dass Mitarbeiter trotz Krankheit zur Arbeit kommen – oft aus Angst vor Einkommensverlusten – bringt sowohl Sicherheitsrisiken als auch potenzielle Produktivitätsverluste mit sich. Dies kann insbesondere in Projekten, in denen Effizienz und Teamgesundheit von entscheidender Bedeutung sind, schwerwiegende Folgen haben.
Die vorgestellten Lösungsansätze, von finanziellen Anreizen für Freiberufler über flexible Arbeitsmodelle bis hin zu Vertretungsmöglichkeiten, bieten Unternehmen praktische Wege, um auf diese Herausforderung zu reagieren. Sie spiegeln die Notwendigkeit wider, das traditionelle Arbeitsmodell neu zu überdenken und Anpassungen vorzunehmen, die die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter in den Vordergrund stellen.
Abschließend appellieren wir an BGM (Betriebliches Gesundheitsmanagement) und SiFa (Sicherheitsfachkräfte), das Thema Präsentismus proaktiv in Angriff zu nehmen. Es ist unerlässlich, dieses Thema als wesentlichen Bestandteil des Gesundheitsmanagements in Projekten zu erkennen und zu etablieren. Nur durch einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl präventive Maßnahmen als auch gezielte Interventionsstrategien umfasst, können Unternehmen eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung gewährleisten und gleichzeitig die Effizienz und Produktivität ihrer Projekte sicherstellen.