Für Verantwortliche im Arbeits‑ und Gesundheitsschutz

Worum es geht – kurz & klar

Bei Arbeiten an hochchromlegierten Stählen können sich unter bestimmten Bedingungen Chrom(VI)-Verbindungen (Chromate/Chromtrioxid) bilden – krebserzeugend (Kat. 1B), mutagen, reproduktionstoxisch. Typisches Warnsignal: gelbliche Ablagerungen (häufig Calciumchromat) an Bauteilen, Dämmstoffen oder Schraubverbindungen. Begünstigende Faktoren sind 350–800 °C, Sauerstoff, und alkali-/erdalkalihaltige Dämmstoffe oder Montagepasten. Das ist nicht Theorie, sondern durch Realfunde und Messungen in Anlagen (u. a. Kraftwerke, MVA, Industrieöfen) belegt.

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Einordnung im Regelwerk – was zählt

TRGS 561: Maßnahmen bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Metallen und ihren Verbindungen – gilt hier unmittelbar.

  • TRGS 560: Luftrückführung nur unter strengen Bedingungen; bei krebserzeugenden Stäuben grundsätzlich restriktiv handhaben.
  • TRGS 900: AGW‑Systematik; für krebserzeugende Stoffe steht risikobezogenes Vorgehen im Vordergrund (nicht „sichere“ Schwelle).
  • TRGS 910 – Begründung Chrom (VI): Epidemiologie stützt den Richtwert: Langzeit‑Mittelwert 1 µg/m³ Cr(VI) (40 Jahre) entspricht Exzess‑Lungenkrebsrisiko ~4:1000. Das ist die belastbare Größenordnung für die Beurteilung.
  • REACH/ROHS: Zahlreiche Chrom(VI)‑Verbindungen sind zulassungspflichtig (Anhang XIV), Hexavalentes Chrom ist nach RoHS in EEE beschränkt.

Wo das Problem praktisch auftritt

  • Heißleitungen, Turbinengehäuse, Dampfdruckleitungen, Ofen‑ und Abgasstrecken.
  • Flansch‑ und Schraubverbindungen aus hochlegierten Stählen; Montagepasten mit Calcium/Magnesium; Mineral‑/Hochtemperatur‑Glaswolle als Dämmung.
  • Revisions‑ und Isolierarbeiten, Ent- und Wiedereinpacken, Öffnen von Gehäusen/Flanschen, Abisolieren von Dämmung, Schleif‑/Reinigearbeiten.
    Auffällig: gelbe, pulverige/klebrige BelägeChrom(VI) ist möglich; mehrere BG‑Messdienste berichten inhalative Exposition bei Tätigkeiten an belasteten Oberflächen.

STOP – bewährtes Vorgehen ohne Experimente

S – Substitution

  • Dämmstoffe/Montagepasten ohne alkali-/erdalkalimetallhaltige Oxide bevorzugen (sofern technisch möglich und geringere Toxizität belegt). Dokumentierte Ersatzstoffprüfung (TRGS 600).

T – Technisch

  • Staubarmes Arbeiten; sichtbare Beläge abgesaugen (Staubklasse H, DIN EN 60335‑2‑69), keine Druckluft.
  • Bereiche abdecken (z. B. Folien auf Gitterrosten), um Kontamination darunterliegender Arbeitsplätze zu verhindern.
  • Luftrückführung vermeiden; wenn unvermeidbar, nur nach TRGS 560 (Filterkonzept, Freigabe).

O – Organisatorisch

  • Gefährdungsbeurteilung aktualisieren (Tätigkeiten/Medien/Temperaturen/Dämmstoffe).
  • Erlaubnisschein/Arbeitsfreigabe für Heißarbeiten, Demontagen, Isolierarbeiten in betroffenen Bereichen.
  • Kennzeichnung/Absperrung bei Verdachtsflächen („Chrom(VI) – krebserzeugend“).
  • Probenahme & Beurteilung durch BG‑/Ländermessstellen oder akkreditierte Labore; Wisch‑/Materialproben nach standardisierten Verfahren. BG ETEM koordiniert die Thematik.

P – Persönlich

  • PSA: Typ‑5 Anzug (EN ISO 13982‑1) mit Kapuze, FFP3 (oder höherwertiger Atemschutz je Tätigkeit), Korbbrille, nitrilbeschichtete Textilhandschuhe; kontaminierte Einweg‑PSA entsorgen.
  • Hautschutz/Hygiene strikt (Waschen, Wechselkleidung, getrennte Schwarz/Weiß‑Bereiche).
  • Arbeitsplatzbezogene Unterweisung inkl. Erkennen gelblicher Beläge und Vorgehen bei Fund. (BG‑Empfehlungen)

Umgang mit Kontaminationen

  • Beläge nicht trocken lösen. Zuerst H‑Staubsauger, dann feucht binden.
  • Reduktionslösungen können Chrom(VI) → Chrom(III) überführen und so Exposition/Verschleppung mindern; Materialverträglichkeit prüfen, keine Wirksamkeitsgarantie für komplette Dekontamination – Nachmessung erforderlich.
  • Entsorgung als gefährlicher Abfall gem. Nachweisführung.

Mess‑ und Bewertungsmaßstab

  • Ziel ist dauerhaft unter risikobezogenen Maßstäben zu bleiben. Orientierung: 1 µg/m³ Cr(VI) (Langzeit‑Mittelwert, 40 Jahre) ≈ zusätzlich ~4/1000 Lungenkrebsfälle. Unterhalb liegt das Risiko niedriger, aber nicht Null. Strategische Planung an diesem Maßstab ausrichten (Technik/Organisation/PSA/Monitoring).

Typische Fehler – bitte vermeiden

  • Gelbe Beläge abblasen oder trocken abbürsten.
  • Belastete Dämmstoffe ohne Abschottung/Unterdruck abziehen.
  • Luftrückführung ohne TRGS‑560‑Freigabe.
  • „AGW‑Denke“ auf krebserzeugende Stoffe übertragen (statt risikobezogen nach TRGS 910/561 zu handeln).

Praxischeck (für Revision/Stillstand)

  1. Vorscreening: Baujahre/Medien/Temperaturen/Dämmstoff‑Daten → Verdachtszonen markieren.
  2. Sichtprüfung: gelbliche Ablagerungen? Fund → Bereich sperren, Proben veranlassen.
  3. Arbeitsfreigabe mit spezifischen Schutzmaßnahmen (STOP) und Entsorgungskonzept.
  4. Messstrategie: personenbezogene/ortsbezogene Cr(VI)‑Luftmessung + Wischproben vor/nach Reinigung.
  5. Wirksamkeitskontrolle: Nachreinigung, Freigabe dokumentieren, Lessons Learned in GA/Unterweisung zurückspielen.

Warum das Thema jetzt wichtig ist

Die BG‑Branchen berichten reale Funde und arbeitsplatzbezogene Expositionen – nicht nur aus der Galvanik, sondern auch aus Kraftwerken, Industrieöfen und Anlagen mit hochlegierten Stählen. Betreiber sind in der Pflicht: Gefährdungen ermitteln, Maßnahmen festlegen, Wirksamkeit prüfen – exakt das, was das Arbeitsschutzrecht verlangt.

Quellen (Auswahl)

  • BG ETEMMögliche Chrom(VI)-Exposition (Stand 30.05.2025) und Fachinformationen.
  • BG BAUChrom(VI)-Verbindungen an Edelstahl (Bedingungen, gelbe Beläge).
  • TRGS 561, TRGS 560, TRGS 900 (BAuA).
  • TRGS 910 – Begründung Chrom(VI) (Expositions‑Risikobeziehung: 1 µg/m³ → ~4:1000).
  • REACH Anhang XIV (ECHA); RoHS 2011/65/EU (EU‑Kommission).

Schluss

Kein Alarmismus – aber konsequentes, klassisches Arbeitsschutz‑Handwerk: STOP umsetzen, sauber messen, dokumentieren, unterweisen. Dann bleibt das Risiko beherrschbar – auch bei komplexen Anlagen mit hochlegierten Stählen.