Eine Fehlgeburt ist für betroffene Frauen oft eine traumatische Erfahrung, die Zeit zur körperlichen und seelischen Erholung erfordert. Ab Juni 2025 greift eine neue Gesetzesregelung, die ihnen genau diese Zeit im Rahmen des Mutterschutzes gewährt.
Gesetzesänderung ab 1. Juni 2025: Hintergrund und Überblick
Zum 1. Juni 2025 tritt das Mutterschutzanpassungsgesetz 2025 in Kraft. Dieses Gesetz erweitert den Geltungsbereich des Mutterschutzes und schließt eine bislang bestehende Schutzlücke. Künftig haben auch Frauen, die ab der 13. Schwangerschaftswoche (SSW) eine Fehlgeburt erleiden, Anspruch auf Mutterschutzfristen. Bisher galt der Mutterschutz (insbesondere die Schutzfrist nach der Entbindung) nur bei einer Totgeburt nach der 24. SSW bzw. einem Geburtsgewicht ab 500 g – bei früheren Fehlgeburten bestand kein gesetzlicher Mutterschutz. In der Praxis mussten sich betroffene Frauen daher bislang eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Krankschreibung) ausstellen lassen, um nach einer Fehlgeburt Zeit zur Genesung zu erhalten.
Der Anstoß für die Gesetzesänderung geht unter anderem auf eine öffentliche Petition im Jahr 2022 zurück, die das Thema Fehlgeburten aus der Tabuzone holen wollte. Das Anliegen fand breite politische Unterstützung über Parteigrenzen hinweg. Am 14. Februar 2025 hat der Bundesrat dem Gesetzentwurf zugestimmt – damit war der Weg frei, um die Neuerungen zum Juni 2025 in Kraft zu setzen. Familienministerin Lisa Paus bezeichnete den gestaffelten Mutterschutz bei Fehlgeburten als wichtiges Zeichen: Eine Fehlgeburt könne eine traumatische Erfahrung sein, und der erweiterte Mutterschutz gebe mehr Frauen die Möglichkeit, sich zu erholen und gesundheitliche Komplikationen zu vermeiden. Insgesamt wird die enorme seelische Belastung betroffener Frauen besser anerkannt und enttabuisiert.
Neben den neuen Regelungen zu Fehlgeburten beinhaltet das Mutterschutzanpassungsgesetz auch eine Klarstellung für Totgeburten ab der 24. SSW: In diesen Fällen beträgt die Mutterschutzfrist nun einheitlich 14 Wochen nach der Geburt. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Frauen nach einer späten Totgeburt ausreichend Zeit zur Erholung erhalten – unabhängig davon, ob sie die vollen sechs Wochen Mutterschutz vor dem errechneten Termin in Anspruch nehmen konnten oder nicht.
Neue Regelung: Gestaffelte Mutterschutzfristen nach Fehlgeburt (§ 3 Abs. 5 MuSchG)
Ab dem 13. Schwangerschaftswoche greift künftig eine gestaffelte Mutterschutzfrist, wenn eine Fehlgeburt eintritt. Die Dauer der Schutzfrist richtet sich dabei nach dem Stadium der Schwangerschaft zum Verlustzeitpunkt:
- Fehlgeburt ab der 13. SSW: Mutterschutzfrist von bis zu 2 Wochen
- Fehlgeburt ab der 17. SSW: Mutterschutzfrist von bis zu 6 Wochen
- Fehlgeburt ab der 20. SSW: Mutterschutzfrist von bis zu 8 Wochen
Innerhalb dieser Zeiträume dürfen Arbeitgeber die Frau nicht beschäftigen. Es handelt sich um ein Beschäftigungsverbot kraft Gesetzes – das heißt, der Schutz gilt automatisch aufgrund der Gesetzeslage, ohne dass es einer individuellen ärztlichen Bescheinigung über ein Beschäftigungsverbot bedarf. Neu, im Vergleich zur früheren Situation, ist vor allem: Betroffene Frauen sind nun nicht mehr darauf angewiesen, sich via Krankschreibung arbeitsunfähig melden zu müssen, um nach einer Fehlgeburt zu Hause bleiben zu dürfen. Stattdessen greift von Gesetzes wegen eine Mutterschutzfrist, ähnlich wie nach einer Entbindung.
Infobox: Relatives Beschäftigungsverbot – Der Mutterschutz nach Fehlgeburt ist als relatives Beschäftigungsverbot ausgestaltet. Das bedeutet, die Frau darf auf eigenen Wunsch trotzdem arbeiten, obwohl grundsätzlich ein Beschäftigungsverbot besteht. Dies steht im Gegensatz zu einem absoluten Beschäftigungsverbot – etwa dem achtwöchigen Mutterschutz nach einer normalen Geburt –, bei dem keine Beschäftigung zulässig ist.
Die neue Regelung in § 3 Abs. 5 MuSchG formuliert ausdrücklich, dass die oben genannten Schutzfristen nur gelten, solange die Frau sich nicht zur Arbeitsleistung bereit erklärt hat. Konkret: Auf Wunsch der Frau kann sie ihre Arbeit während der Mutterschutzfrist weiterhin ausüben. Sie muss dazu ihrer Führungskraft bzw. dem Arbeitgeber ausdrücklich mitteilen, dass sie trotz der Fehlgeburt und der an sich geltenden Schutzfrist arbeiten möchte. Diese ausdrückliche Bereitschaft zur Arbeitsleistung kann aus freien Stücken erfolgen – zum Beispiel, wenn die Frau aus persönlichen Gründen schnell wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren will. Wichtig ist: Die Erklärung kann jederzeit widerrufen werden. Entscheidet sich die Frau also doch, die Schutzfrist (oder den Rest davon) in Anspruch zu nehmen, so kann sie ihre zuvor erteilte Arbeitsbereitschaft zurückziehen; ab dem Widerrufszeitpunkt darf der Arbeitgeber sie dann nicht mehr beschäftigen.
In der Praxis wird es empfohlen, diese Vereinbarung (Arbeitsbereitschaft und ein etwaiger Widerruf) schriftlich festzuhalten, um Missverständnisse zu vermeiden. Sollte der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwangerschaft und Fehlgeburt gehabt haben und die Frau nimmt ihre Arbeit einfach wieder auf, wird dies faktisch als konkludente Erklärung gewertet, dass sie arbeiten möchte. Dennoch ist aus Fürsorgegründen eine offene Kommunikation wünschenswert. Der Sinn und Zweck der Neuregelung ist es schließlich, Frauen nach einer Fehlgeburt eine Schon- und Regenerationszeit zu ermöglichen. Diese selbstbestimmt gestaltbare Auszeit soll helfen, körperliche Prozesse (wie die Rückbildung) und seelische Belastungen besser zu bewältigen.
Kündigungsschutz nach Fehlgeburt (§ 17 MuSchG)
Unverändert – und weiterhin von großer Bedeutung – ist der besondere Kündigungsschutz nach einer Fehlgeburt. Bereits seit der Mutterschutzreform 2018 gilt: Hat eine Frau eine Fehlgeburt nach der 12. Schwangerschaftswoche erlitten, genießt sie im Anschluss einen Kündigungsschutz analog zum Schutz nach einer Entbindung. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MuSchG besagt, dass eine Kündigung bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der 12. SSW unzulässig ist. Dieser Schutz greift, wenn dem Arbeitgeber die Fehlgeburt zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt war oder innerhalb von zwei Wochen nach Zugang einer Kündigung mitgeteilt wird.
Für die Praxis heißt das: Sollte eine Mitarbeiterin beispielsweise zwei Monate nach einer Fehlgeburt (ab SSW 13) eine Kündigung erhalten, wäre diese rechtlich unwirksam, sofern der Arbeitgeber von der Fehlgeburt wusste oder spätestens binnen zwei Wochen nach Ausspruch der Kündigung davon in Kenntnis gesetzt wird. Der Kündigungsschutz greift unabhängig davon, ob die Frau die oben erläuterte Mutterschutzfrist tatsächlich in Anspruch nimmt oder vorzeitig wieder arbeitet – er ist ein eigener Rechtsanspruch. Wichtig: Dieser besondere Kündigungsschutz besteht zusätzlich zum generellen Kündigungsverbot während der Schwangerschaft selbst (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG). Arbeitgeber sollten daher in jedem Fall sorgfältig prüfen, ob bei einer Kündigung eine Schwangerschaft oder (bei bekannt gewordener Fehlgeburt) ein entsprechender Schutzzeitraum vorliegt, um Rechtsverstöße zu vermeiden.
Mutterschaftsleistungen und U2-Erstattung während der Schutzfristen
Nimmt eine Frau die Mutterschutzfrist nach einer Fehlgeburt in Anspruch, hat sie – genau wie nach einer regulären Entbindung – Anspruch auf Mutterschaftsleistungen. Insbesondere zahlt die gesetzliche Krankenkasse ein Mutterschaftsgeld und der Arbeitgeber einen Zuschuss, sodass die Frau finanziell im Wesentlichen ihr Netto-Einkommen weiter erhält. Die Dauer der Mutterschaftsleistungen entspricht der Länge der jeweiligen Schutzfrist. Für eine Fehlgeburt ab der 13. SSW werden also bis zu zwei Wochen Mutterschaftsgeld und Zuschuss gewährt; bei einer Fehlgeburt ab SSW 20 entsprechend bis zu acht Wochen, etc. Nimmt die Frau ihre Arbeit vor Ablauf der maximalen Frist wieder auf (auf eigenen Wunsch), enden die Mutterschaftsleistungen zu diesem Zeitpunkt.
Arbeitgeber müssen wie üblich in Vorleistung gehen und die zustehenden Mutterschutzentgelte auszahlen. Allerdings können sie sich diese Kosten vollständig erstatten lassen. Über das Umlageverfahren U2 erstattet die Krankenkasse dem Arbeitgeber 100 % der Aufwendungen, die auf Mutterschaftszeiten entfallen. Die Erweiterung des Mutterschutzes auf Fehlgeburten wurde in § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Aufwendungsausgleichsgesetzes (AAG) verankert, sodass auch hier die Arbeitgeberentschädigung eindeutig geregelt ist.
Praktische Abwicklung: Der GKV-Spitzenverband hat in einem Rundschreiben vom 5. März 2025 festgelegt, wie Fehlgeburten im elektronischen U2-Antragsverfahren anzugeben sind. Da im digitalen Meldeprozess üblicherweise der voraussichtliche Entbindungstermin erfasst wird, gibt es folgende Vorgabe:
- Im Feld für den „mutmaßlichen Entbindungstag“ ist der Tag der Fehlgeburt einzutragen.
- Der Erstattungsantrag muss von einer ärztlichen Bescheinigung begleitet sein, aus der hervorgeht, dass es sich um eine Fehlgeburt ab der 13. SSW handelt (Angabe der Schwangerschaftswoche).
Diese Bescheinigung wird in der Regel die behandelnde Gynäkologin oder der Arzt ausstellen. Personalabteilungen sollten darauf achten, dass ihnen dieses Dokument zeitnah vorliegt, um den U2-Antrag korrekt und zügig stellen zu können. Empfehlenswert ist es, intern eine Checkliste oder Prozessbeschreibung für diesen Fall zu erstellen (z. B. welche Unterlagen benötigt werden, welche Stellen informiert werden müssen etc.). So wird sichergestellt, dass keine Verzögerung bei der Auszahlung der Mutterschaftsleistungen und der Erstattung über U2 entsteht.
Handlungstipps für Unternehmen
Die neue Rechtslage erfordert nicht nur juristisches Wissen, sondern auch organisatorische und kommunikative Maßnahmen im Betrieb. Folgende Praxistipps helfen Unternehmen dabei, sich vorzubereiten und betroffene Mitarbeiterinnen bestmöglich zu unterstützen:
- Interne Aufklärung & Kommunikation: Informieren Sie frühzeitig alle relevanten Stellen – insbesondere HR-Verantwortliche, Führungskräfte und den Betriebsrat – über die Gesetzesänderung. Stellen Sie sicher, dass Führungskräfte wissen, wie sie im Falle einer Fehlgeburt einer Mitarbeiterin reagieren sollten (einfühlsames Gespräch, Hinweis auf den Mutterschutz, Unterstützung anbieten). Eine sensible Kommunikation ist wichtig, da Fehlgeburten oft tabuisiert werden. Durch offene Information schafft man Vertrauen und nimmt Betroffenen die Scheu, das Thema anzusprechen.
- Prozesse überprüfen und anpassen: Analysieren Sie bestehende Prozesse rund um Mutterschutz und Krankmeldungen. Passen Sie Arbeitsabläufe und Richtlinien dahingehend an, dass im Falle einer Fehlgeburt ab der 13. SSW automatisch die Mutterschutzfrist gewährt wird. Zum Beispiel sollte im Prozess zur Meldung einer Schwangerschaft/Fehlgeburt klar verankert sein, dass HR die Option Mutterschutzfrist anbietet und nicht fälschlicherweise auf eine Krankschreibung besteht. Schulen Sie Ihr HR-Personal in den neuen Regelungen, damit die Umsetzung reibungslos erfolgt.
- Dokumentation & korrekte U2-Abwicklung: Stellen Sie sicher, dass alle notwendigen Unterlagen zeitnah vorliegen und richtig verarbeitet werden. Dazu gehören die ärztliche Bescheinigung über die Fehlgeburt (mit Angabe der SSW) und die Erfassung des Ereignisses im Lohnabrechnungssystem. Dokumentieren Sie den Beginn und das Ende der Mutterschutzfrist im Zeiterfassungssystem korrekt. Überprüfen Sie, dass der elektronische U2-Erstattungsantrag ordnungsgemäß gestellt wird (inkl. Eintrag des Fehlgeburtsdatums als mutmaßlicher Entbindungstag). Eine saubere Dokumentation schützt vor späteren Rückfragen der Krankenkasse oder Prüfbehörden.
- Berücksichtigung im BGM und Gefährdungsbeurteilung: Integrieren Sie das Thema Fehlgeburt und Mutterschutz in Ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Bieten Sie z. B. Informationsmaterial oder Anlaufstellen für psychologische Unterstützung an, denn viele Frauen benötigen nach einer Fehlgeburt auch seelische Betreuung. Weisen Sie in der Gefährdungsbeurteilung nach Mutterschutzgesetz darauf hin, dass Fehlgeburten vorkommen können, und legen Sie fest, wie der Betrieb in solchen Fällen verfährt (z. B. welche Schonmöglichkeiten am Arbeitsplatz bestehen, falls die Frau vor Ablauf der Frist zurückkehrt). Zwar endet mit der Fehlgeburt formal der Status als Schwangere, doch sollten Arbeitgeber im Sinne der Fürsorge eventuelle körperliche Einschränkungen oder Nachwirkungen (z. B. nach einem medizinischen Eingriff) für eine gewisse Zeit berücksichtigen.
- Betriebsarzt und Sifa einbinden: Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sifa) sollten über die Neuregelung informiert und für das Thema sensibilisiert werden. Sie können eine wertvolle Rolle spielen, indem sie betroffene Frauen frühzeitig beraten – etwa zu der Frage, wann ein medizinisch sinnvoller Zeitpunkt für die Rückkehr an den Arbeitsplatz ist. Zudem können Betriebsärzt*innen auf weiterführende Unterstützungsangebote hinweisen (Therapie, Selbsthilfegruppen etc.) und im Bedarfsfall eine stufenweise Wiedereingliederung aus arbeitsmedizinischer Sicht begleiten. Sifas sollten bei der Beurteilung des Arbeitsplatzes nach einer Fehlgeburt ein Auge auf mögliche Gefährdungen haben und dafür sorgen, dass die Mitarbeiterin nach ihrer Rückkehr keine gesundheitlich unzumutbaren Tätigkeiten ausführen muss. Kurz: Das betriebliche Betreuungsteam (HR, BGM, Betriebsarzt, Sifa) sollte Hand in Hand arbeiten, um der Mitarbeiterin den Rücken zu stärken.
Fazit: Mehr Schutz, Anerkennung und Fürsorge im betrieblichen Kontext
Die Einführung gestaffelter Mutterschutzfristen nach Fehlgeburten ab der 13. Schwangerschaftswoche ist ein Meilenstein für den Schutz betroffener Frauen. Erstmals erhalten Frauen, die ihr Kind sehr früh verlieren, einen rechtlich abgesicherten Schonraum, um diese schwere Situation zu bewältigen. Für Unternehmen bedeutet die Neuregelung den Auftrag, Fürsorge und Anerkennung gegenüber Mitarbeiterinnen in Ausnahmesituationen aktiv zu leben. Indem Arbeitgeber die gesetzlichen Vorgaben konsequent umsetzen und von sich aus auf die Frauen zugehen, signalisieren sie: “Du bist nicht alleine – wir unterstützen dich.” Dies stärkt das Vertrauen der Belegschaft in die Unternehmenskultur und zeigt, dass auch tabubehaftete Themen wie Fehlgeburten mit Empathie und Respekt behandelt werden. Letztlich profitieren alle Beteiligten von dieser Entwicklung: Die Frauen erhalten den Schutz, den sie benötigen, und Unternehmen können durch umsichtiges Handeln ihre Werte in puncto Gleichstellung und Gesundheit am Arbeitsplatz unter Beweis stellen. Die geschlossene Schutzlücke im Mutterschutzgesetz ist somit ein Gewinn für die betriebliche Fürsorgekultur und ein weiterer Schritt hin zu einer modernen, familienbewussten Arbeitswelt.
Quellen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ); Deutscher Bundestag; Bundesgesetzblatt Jahrgang 2025 Teil I Nr. 44; Techniker Krankenkasse; GKV-Spitzenverband; Haufe Verlag; etc.