Beschreibung
Mit Rückenschmerzen (RS) werden in Deutschland Schmerzen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule bezeichnet. Davon abgegrenzt werden Schmerzen in der Nackenregion, den Schultern und den Hüften. Unter Kreuzschmerzen wird meist der Bereich der Lendenwirbelsäule gemeint.
Aus ätiologischer Sicht werden „spezifische“ und „unspezifische“ Formen von Rückenschmerzen unterschieden. Spezifische Rückenschmerzen sind solche, bei denen somatische Ursachen als Auslöser der Beschwerden diagnostiziert werden können. Hierzu gehören traumatische, entzündliche und tumoröse Veränderungen an der Wirbelsäule, systemische Erkrankungen (z. B. Osteoporose) aber auch Bandscheibenvorfälle, die Druck auf Nervenwurzeln ausüben. Unspezifische Rückenschmerzen liegen dann vor, wenn sich für die Beschwerden kein somatischer Auslöser findet und kein zentraler Pathomechanismus erkennen lässt. In etwa 80-85 % der Fälle lassen sich die Rückenschmerzursachen nicht klären [1] , sie sind als unspezifisch zu klassifizieren (ICD10: M 54.9). Im US-amerikanischen Sprachgebrauch werden am Arbeitsplatz aufgetretene unspezifische Rückenschmerzen auch unter dem Terminus „back injuries“ geführt. Dies geschieht vor dem Hintergrund des amerikanischen Versicherungswesens, wonach Beschäftigten nur nach arbeitsbedingten „Verletzungen“ Lohnersatzleistungen zustehen.
Prävalenzen
Nach ihrem Verlauf werden Rückenschmerzen in akute (weniger als 6 Wochen), subakute (6 bis 12 Wochen) und chronische Formen (mehr als 12 Wochen) eingeteilt. Wie stark die Beschwerden sind, kann im Laufe der Zeit schwanken: Die Schmerzen können mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt sein. Chronische Rückenschmerzen können auch mit schmerzfreien Phasen einhergehen, in denen gar keine Beschwerden auftreten. Wenn die beschwerdefreie Zeit länger als sechs Monate andauert, spricht man von wiederkehrenden (rezidivierenden) chronischen Rückenschmerzen.
Bis zu 70 % der Rückenschmerzfälle nehmen einen rezidivierenden Verlauf [1]. Davon abzugrenzen ist die Verschlechterung – Progression von Rückenschmerzen, die 1. die Verschiebung der Beschwerden in höhere Schweregrade; 2. die Veränderung des zeitlichen Verlaufsmusters (z. B. Übergang von subakuten in chronische Rückenschmerzen) und / oder 3. die Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms umfasst.
Akute Rückenschmerzen haben generell eine gute Prognose: Innerhalb weniger Wochen verbessern sich die Schmerzen bei der großen Mehrzahl der Betroffenen (75 % – 90 %) [1]. Arbeitsunfähige Personen kehren häufig innerhalb eines Monats wieder an den Arbeitsplatz zurück.
In der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell« des Robert Koch-Instituts aus dem Jahr 2009 gaben 21 % der Befragten an, im letzten Jahr unter mindestens drei Monate oder länger anhaltenden Rückenschmerzen (fast täglich) gelitten zu haben. Internationale Studien berichten von einem Anteil von über 10% der Rückenschmerzerkrankungen, die zu einer Chronifizierung führen. Rückenschmerzen in Deutschland verursachten im Jahr 2008 11,2% aller direkten Krankheitskosten, in 2013 22% aller AU-Tage und 13,6% aller Frühberentungen[2].
Ätiologie und Risikofaktoren
Bei unspezifischen Rückenschmerzen ist eine kausale Prävention wegen der ungeklärten Ätiologie nicht möglich. Auch die Chronifizierungsmechanismen sind unklar. Es muss ein multidimensionaler Entstehungs- und Chronifizierungsprozess angenommen werden. Beeinflussbare Risikofaktoren bieten jedoch einen direkten Angriffspunkt für präventive Maßnahmen.
Zu unterscheiden ist zwischen Risikofaktoren, die Rückenschmerz begünstigen und solchen, die die Aufrechterhaltung und die Chronifizierung des Schmerzes fördern. Arbeitsbezogene Faktoren stehen mit dem Risiko von Rückenschmerzen in engem Zusammenhang. Darunter fallen biomechanische Arbeitsbedingungen wie repetitives Tragen und Heben schwerer Lasten, Vibrationen oder Arbeiten in ungünstigen Körperhaltungen [3]. Langjährige und sehr schwere körperliche Arbeit ist als Risikofaktor gesetzlich anerkannt. Diese Rückenerkrankungen finden sich in der Liste der Berufserkrankungen wieder [4].
Vorherige RS stehen an erster Stelle der verhaltensbezogenen Risikofaktoren. Das Risiko eine erneute Rückenschmerzepisode zu erleiden ist mindestens viermal höher als für die Personen, die zuvor keine Rückenschmerzen aufwiesen. Als psychosoziale Risikofaktoren gelten: eine niedrige Arbeitsplatzzufriedenheit, eine als monoton erlebte Arbeit, soziale Konflikte und Stress am Arbeitsplatz. Depressivität, Vermeidungsverhalten und Stress sind psychologische Risikofaktoren für einen ungünstigen Heilungsverlauf. Angstvermeidungsstrategien verzögern die Erholung, besonders bei Personen mit starken Ängsten vor Schmerz und dem Wiederauftreten einer Verletzung. Eine Zusammenstellung psychologischer Risikofaktoren findet sich bei [5].
Unter den theoretischen Ansätzen hat das Angst-Vermeidungsmodell (fear-avoidance-model) eine prominente Rolle. Das Modell erklärt die Verschlechterung der RS mit einem selbst verstärkenden Prozess, der durch eine übertriebene Angst vor Schmerzen (katastrophisieren), Furcht vor Bewegung wegen möglicher Verletzungen, sowie allgemeinem Distress, d.h. gedrückter Stimmung und Ängstlichkeit angetrieben wird. Veränderungen in der Angst vor Schmerzen und der Furcht vor Bewegung haben einen positiven Einfluss auf den Verlauf. In jüngster Zeit gibt es eine Reihe von Studien, die für eine Differenzierung und Eingrenzung des Modells auf Subgruppen von Personen plädieren [6]. Demnach müssen sich Therapeuten in ihren Behandlungen auf individuelle Bewältigungsstile von Schmerzen einstellen.
Einzelnachweise
1. Raspe H. Rückenschmerzen. Berlin: Robert-Koch Institut (RKI) 2012; Im Internet: http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/Themenhefte/rueckenschmerzen_inhalt.html?nn=4165658; Zugriff: 09.09.2015
2. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2013. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 2014; Im Internet: http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Suga-2013.html; Zugriff: 09.09.2015
3. Mayer J, Kraus T, Ochsmann E. Longitudinal evidence for the association between work-related physical exposures and neck and/or shoulder complaints: a systematic review. International Archives of Occupational and Environmental Health 2012; 85: 587-603
4. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherungsträger (DGUV). Berufskrankheiten. 2015; Im Internet: http://www.dguv.de/de/Versicherung/Berufskrankheiten/index.jsp; Zugriff: 01.09.2015
5. Heinrich M, Hafenbrack K, Michel C et al. Vorhersage verschiedener Erfolgsmaße in der Behandlung chronischer Rückenschmerzen: Schmerzintensität, Beeinträchtigung und Funktionskapazität. Schmerz 2011; 25: 282-289
6. Bergbom S BK, Overmeer,T Linton SJ. Relationship among pain catastrophizing, depressed mood, and outcomes across physical therapy treatments. Physical Therapy 2011; 91: 754-764