Haftstrafen wegen Arbeitsschutzverstößen sind selten – aber sie kommen vor. Spätestens wenn grobe Pflichtverletzungen zu schweren Gesundheitsschäden oder einem tödlichen Arbeitsunfall führen, wird aus „Compliance-Thema“ Strafrecht. Führungskräfte haften persönlich.

Rechtslage in Kürze

  • ArbSchG § 26: Vorsätzliche Gefährdung oder beharrliche Wiederholung bestimmter Verstöße kann bis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe (oder Geldstrafe) nach sich ziehen.
  • StGB §§ 222/229: Fahrlässige Tötung bzw. fahrlässige Körperverletzung – in der Praxis die zentralen Straftatbestände nach schweren Unfällen.

Leitfall: LG Osnabrück, 10 KLs 16/13 (2013)

  • Sachverhalt: In einem Glasbetrieb wurde aus „Produktivitätsgründen“ eine Lichtschranke (Hersteller-Schutzfunktion) an einer Glaskantenschleifmaschine außer Betrieb gesetzt. Ein 19-jähriger Auszubildender wurde tödlich verletzt.
  • Urteil: Zwei Geschäftsführer wurden wegen fahrlässiger Tötung zu je 6 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt; dazu hohe Geldauflagen. Auch weitere Verantwortliche erhielten Sanktionen.
  • Bedeutung: Das Urteil gilt als vielbeachtetes Beispiel dafür, dass manipulierte/abgeschaltete Schutzeinrichtungen strafrechtlich durchschlagen – persönlich gegen Leitung und weitere Funktions­träger.

Typische Konstellationen, die strafrechtlich relevant werden

  1. Manipulation/Abschaltung von Schutzsystemen (z. B. Lichtschranken, Zweihandschaltungen): Organisations- oder Überwachungsverschulden, ggf. Vorsatznähe.
  2. Systematische Missachtung von Gefährdungsbeurteilung/Unterweisung: fehlende Wirksamkeitskontrolle, keine Umsetzung von Maßnahmen. (Rechtsgrundlage ArbSchG.)
  3. Arbeitszeitverstöße mit Gesundheitsgefährdung (seltener allein strafbewehrt; relevant v. a. in Tateinheit mit weiteren Delikten/Schäden).

Was Gerichte erwarten (klassische Linie)

  • Technische Schutzmaßnahme vor organisatorischer vor persönlicher – und nie außer Betrieb.
  • Gefährdungsbeurteilung als steuerndes Dokument mit Wirksamkeitskontrolle.
  • Pflichtenübertragung: klar, schriftlich, nachweislich befähigte Personen, Kontrollkette.
  • Unterweisung + Überwachung: dokumentiert; Verstöße werden geahndet (kein „Wegsehen“).

Diese Punkte sind seit Jahren gerichtsfest – am Osnabrück-Fall gut ablesbar.

Praxis-Check für Geschäftsführer und HSE-Leitung

Sofort umsetzen (Best Practice, „wie man es immer schon richtig gemacht hat“):

  1. Null-Toleranz bei Schutzsystemen: Jeder Bypass, jede Manipulation ist ein „Stop“. Freigabe nur nach schriftlicher Gefährdungsbeurteilung und Herstellerfreigabe.
  2. Gefährdungsbeurteilung leben: Aktualisieren bei Änderungen (Anlage, Prozess, Personal). Wirksamkeitskontrolle protokollieren.
  3. Pflichten sauber delegieren: Aufgaben, Kompetenzen, Mittel, Kontrolle – schriftlich.
  4. Unterweisungen nachweisen: zielgruppengerecht, an Maschine/Arbeitsplatz; Rückfragen dokumentieren.
  5. Audits & Shopfloor-Begehungen: Fokus auf „kritische Barrieren“ (Schutzeinrichtungen, Lockout/Tagout, Not-Halt).
  6. Abweichungen sanktionieren: abgestufte Maßnahmen, dokumentiert (ansonsten Organisationsverschulden).
  7. Arbeitszeit im Blick: ArbZG-Compliance technisch absichern; Häufungen analysieren.

Häufige Irrtümer

  • „Die Maschine läuft seit Jahren so.“ – Historie schützt nicht vor Haftung.
  • „Die Mitarbeiter wollen das so, sonst stockt die Produktion.“ – Produktionsdruck rechtfertigt keine Abschaltung von Schutzfunktionen.
  • „Wir haben eine Plakette.“ – Ohne Wirksamkeitsnachweis (funktionierende Schutzmaßnahme im Betrieb) kein Schutz im Strafverfahren.

Fazit

Wer Schutztechnik außer Betrieb setzt, die Gefährdungsbeurteilung ignoriert oder Pflichten ohne Kontrolle „delegiert“, riskiert Strafbarkeit – bis hin zur Freiheitsstrafe (oft mit Bewährung, im Extremfall mehr). Der Osnabrück-Fall zeigt die Linie der Rechtsprechung klar auf: Sicherheit vor Produktion.