Die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich des Brand- bzw. Arbeitsschutzes unterscheiden sich. Geht es um die Bewertung der rechtmäßigen Bauweise eines Gebäudes, das Arbeitsplätze beherbergt – wie zum Beispiel eine Verkaufsstätte – konkurrieren Brandschutzvorschriften unter Umständen mit arbeitsschutzrechtlichen Normen. Deshalb ist zu klären, ob Vorschriften des Brandschutzes im Widerspruch zu solchen des Arbeitsschutzes stehen oder ob sie sich sinnvoll ergänzen.

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  1. Aufbau des deutschen Rechtssystems
    Das Rechtssystem der Bundesrepublik lässt sich grob in das Privatrecht und das öffentliche Recht unterteilen, wobei die einzelnen Teilbereiche in einer Wechselbeziehung zu einander stehen. Während baurechtliche Vorschriften überwiegend dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind, findet man arbeitsrechtliche Regelungen sowohl in privatrechtlichen (z.B. BGB) als auch in öffentlich-rechtlichen Gesetzestexten (z.B. ArbSchG, ArbStättV). Obwohl das Arbeitsrecht in vielen Bereichen dem Privatrecht zugeordnet wird (z.B. Arbeitsvertragsrecht), wird es gleichzeitig wesentlich von öffentlich-rechtlichen Vorschriften beeinflusst.

Für den Fall divergierender Regelungen lässt sich das Verhältnis dieser anhand der Normenpyramide veranschaulichen: An oberster Stelle steht das Recht der Europäischen Union. Dem folgt das Bundesrecht, innerhalb dessen förmliche Gesetze (z.B. ArbSchG) über Rechtsverordnungen (z.B. ArbStättV) stehen. Auf unterster Ebene steht das jeweilige Landesrecht der Bundesländer (z.B. BauO). [1]

  1. Vorschriften des Brand- und Arbeitsschutzrechts
    Die gesetzlichen Regelungen zum Brand- und Arbeitsschutz, die für die Errichtung und den Betrieb einer Verkaufsstätte relevant sind, befinden sich in verschiedenen Gesetzestexten.

a. Arbeitsschutzgesetz

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, welche die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Nach § 5 Abs. 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind; gemeint sind auch Gefährdungen durch Brände. [2]

Darüber hinaus hat der Arbeitgeber gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Brandbekämpfung und zur Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind. Dazu zählt die Erstellung von Notfallplänen (Alarm-, Feuerwehr-, Flucht- und Rettungspläne). [3] Er hat gemäß § 10 ArbSchG dafür zu sorgen, dass im Notfall die erforderlichen Verbindungen zu außerbetrieblichen Stellen der Brandbekämpfung eingerichtet sind. Auch sollten Brandschutzhelfer benannt werden, die ggf. Aufgaben der Brandbekämpfung und Evakuierung übernehmen.

b. Arbeitsstättenverordnung

Die Arbeitsstättenverordnung enthält Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von Beschäftigten. In § 4 Abs. 3 ArbStättV ist geregelt, dass der Arbeitgeber Sicherheitseinrichtungen – wie Brandmelde- und Feuerlöscheinrichtungen – instand zu halten und in regelmäßigen Abständen auf ihre Funktionsfähigkeit prüfen zu lassen hat. Arbeitsstätten müssen gemäß Anhang Nr. 2.2 ArbStättV mit einer ausreichenden Anzahl an Feuerlöscheinrichtungen, Brandmeldern und Alarmanlagen ausgestattet sein.

Zudem muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass Verkehrswege, Fluchtwege und Notausgänge ständig freigehalten werden, damit sie jederzeit benutzbar sind (§ 4 Abs. 4 Satz 1 ArbStättV), und dass sich die Beschäftigten bei Gefahr unverzüglich in Sicherheit bringen und schnell gerettet werden können (§ 4 Abs. 4 Satz 2 ArbStättV). Gemäß Anhang Nr. 2.3 ArbStättV müssen Fluchtwege und Notausgänge auf möglichst kurzem Weg ins Freie führen und Türen von Notausgängen nach außen zu öffnen sein.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV hat der Arbeitgeber bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG festzustellen, ob die Beschäftigten Gefährdungen beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten ausgesetzt sind oder ausgesetzt sein können. Dann muss der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbStättV alle möglichen Gefährdungen der Sicherheit und der Gesundheit der Beschäftigten beurteilen und dabei die Auswirkungen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsabläufe in der Arbeitsstätte berücksichtigen.

c. Verkaufsstättenverordnung

Bei der Errichtung und dem Betrieb einer Verkaufsstätte sind die Regelungen der Verkaufsstättenverordnung hinzuzuziehen. Vorgaben bestehen u.a. hinsichtlich der Feuerbeständigkeit von Wänden (vgl. §§ 3, 4 MVKVO). Maßgeblich sind dabei beispielsweise die Einordnung als tragende oder Außenwand und ob die Verkaufsstätte mit einer Sprinkleranlage ausgestattet ist. Außerdem sind Verkaufsstätten gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MVKVO durch Brandwände in Brandabschnitte zu unterteilen. Je nach Ausstattung der Verkaufsstätte (mit oder ohne Sprinkleranlagen) und je nach Geschoss ist die Fläche der Brandabschnitte begrenzt. Auch für Decken, Dächer, Bekleidungen, Treppen, Treppenräume bzw. -erweiterungen und Flure gelten besondere Brandschutzvorschriften (vgl. §§ 7 ff., 11 ff. MVKVO).

Gemäß § 10 Abs. 1 MVKVO müssen für jeden Verkaufsraum, Aufenthaltsraum und für jede Ladenstraße in demselben Geschoß mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege zu Ausgängen ins Freie oder zu Treppenräumen notwendiger Treppen vorhanden sein. Bestehen hinsichtlich des Brandschutzes keine Bedenken, darf anstelle eines dieser Rettungswege ein Rettungsweg über Außentreppen ohne Treppenräume, Rettungsbalkone, Terrassen und begehbare Dächer auf das Grundstück führen, welcher dann als Ausgang ins Freie gilt. Ebenso gibt es Anforderungen an die Entfernung des ersten Rettungswegs (vgl. § 10 Abs. 2 MVKVO) und dessen Kennzeichnung (vgl. § 10 Abs. 7 MVKVO). Zudem sollten Verkaufsstätten in der Regel Sprinkleranlagen haben (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 MVKVO) und grundsätzlich mit geeigneten Feuerlöschern und Wandhydranten für die Feuerwehr ausgestattet sein (vgl. § 20 Abs. 2 Nr. 1 MVKVO).

d. (Muster)Bauordnung

Grundsätzlich liegt die Gesetzgebungskompetenz im Bauordnungsrecht bei den Bundesländern, sodass jedes Bundesland eine eigene Bauordnung erlassen hat. Basierend auf den Bauordnungen aller Bundesländer hat die Bauministerkonferenz (ARGEBAU) zur Vereinheitlichung der Landesbauordnungen die Musterbauordnung (MBO) ausgearbeitet. Zwar besitzt diese keine Gesetzesqualität, stimmt jedoch im Wesentlichen mit den Landesbauordnungen überein, da sich die Bundesländer bei ihrer Gesetzgebung an der Musterbauordnung orientieren. [4] Zur Vereinfachung und Übersichtlichkeit soll im Folgenden lediglich auf die Musterbauordnung Bezug genommen werden.

Gemäß § 3 Abs. 1 MBO sind Anlagen so zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet werden. Zudem sind bauliche Anlagen gemäß § 14 MBO so zu errichten,

dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.

Des Weiteren werden Vorgaben für das Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen geregelt. Beispielsweise müssen tragende Wände im Brandfall ausreichend standsicher sein (§ 27 Abs. 1 Satz 1 MBO) bzw. Außenwände derart beschaffen sein, dass eine Brandausbreitung auf und in diesen Bauteilen ausreichend lang begrenzt ist (§ 28 Abs. 1 MBO). Hinzukommend müssen notwendige Treppenräume gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 MBO so angeordnet und ausgebildet sein, dass die Nutzung der notwendigen Treppen im Brandfall ausreichend lang möglich ist.

  1. Bauordnungsrecht versus Arbeitsschutzrecht
    Welche Norm im Kollisionsfall vorzugswürdig ist, richtet sich nach dem Verhältnis der Normen des Brandschutzes bzw. des Arbeitsschutzes zu einander. Die Vorschriften im Arbeitsschutzgesetz sind derart formuliert, dass sie zeitgleich den Brand- als auch den Arbeitsschutz berücksichtigen und kein Spannungsverhältnis begründen. Vergleicht man die Regelungen des Arbeitsschutzrechts (ArbStättV, MVKVO) mit denen des Bauordnungsrechts, fallen zahlreiche Schnittstellen auf. Kollidieren diese nicht, können sie nebeneinander angewendet werden. [5]

Ein Konkurrenzverhältnis zwischen Brand- und Arbeitsschutzvorschriften wurde in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Jahr 2016 deutlich: Das Gericht bestätigte eine arbeitsschutzrechtliche Ordnungsverfügung, die einen Arbeitgeber verpflichtete, eine als Notausgang dienende Tür umzubauen und sicherzustellen, dass diese im Einklang mit § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ArbSchG in Verbindung mit Anhang Nr. 2.3 Abs. 2 Satz 2 ArbStättV nach außen aufschlägt. Dass dieser Arbeitgeber die streitgegenständliche Tür entsprechend einer früheren Ordnungsverfügung nach früherer Rechtslage mit Aufschlagrichtung nach innen errichtet hatte, sei in diesem Zusammenhang unwesentlich und eine Berufung auf den baurechtlichen Bestandsschutz nicht möglich, da die Vorgaben in der Arbeitsstättenverordnung nebst deren Anlagen eindeutig und aus Gründen der Gefahrenabwehr und des Gesundheitsschutzes erforderlich seien. [6]

Diese Entscheidung stellt das Rangverhältnis von brandschutztechnischen Normen und Arbeitsschutzrecht zutreffend dar: Anzuwenden ist die jeweils weitergehende Vorschrift. Zwar gehört die Arbeitsstättenverordnung zum Bundesrecht, welches dem Landesrecht nach Art. 31 GG vorgeht. Jedoch regelt § 3a Abs. 4 ArbStättV, dass Anforderungen in anderen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, soweit sie über die Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung hinausgehen. Demzufolge greift im Falle von Kollisionen brandschutz- und arbeitsschutzrechtlicher Normen die jeweils weitergehende Regelung. Stehen die gesetzlichen Regelungen in keinem Konkurrenzverhältnis zu einander, so werden die Vorschriften nebeneinander angewendet.

Fazit:
Ein Nebeneinander von Brand- und Arbeitsschutzrecht ist aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr erwünscht. Aufgrund der Normenhierarchie ist im Fall einer Normenkollision die Arbeitsstättenverordnung im Verhältnis zum Bauordnungsrecht der Länder vorzuziehen. Dies gilt gemäß § 3a Abs. 4 ArbStättV jedoch nicht, wenn das Bauordnungsrecht über die Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung hinausgeht. Dann soll das Bauordnungsrecht vorrangig gelten. Somit stehen Brand- und Arbeitsschutzrecht insbesondere bei der Errichtung und dem Betrieb einer Verkaufsstätte nicht im Widerspruch zu einander, sondern ergänzen sich sinnvoll und bezwecken eine höhere Sicherheit der Beschäftigten.

Erschienen im Original unter: https://www.feuertrutz.de/zusammenwirken-von-brandschutz-und-arbeitsschutz/150/72056/

Literatur

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Normenhierarchie_(Deutschland).

[2] Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe, Brandschutz im Betrieb – ASI 9.30, Mannheim, 2016, Seite 4.

[3] Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe, Brandschutz im Betrieb – ASI 9.30, Mannheim, 2016, Seite 23.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Bauordnungen_(Deutschland).

[5] Prof. Dr. Wolfhard Kohle, Rechtsgutachten zum Zusammenwirken von Arbeitsstättenrecht und Bauordnungsrecht, Dortmund/Berlin/Dresden, 2018, Seite 12.

[6] VG Münster, Urteil vom 22.06.2016, Az.: 9 K 1985/15; OVG Münster, Beschluss vom 17.01.2018, Az.: 8 A 1648/16.

Autor: Donato Muro

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