Worum es geht

Auf einer Einfamilienhaus‑Baustelle ließ der Bauleiter die Abdeckung des Treppenauges entfernen. Die Öffnung blieb ungesichert. Ein Bauhelfer eines anderen Gewerkes stürzte rund 2,5 m in den Keller und wurde verletzt. Die Berufsgenossenschaft (BG) zahlte – und nahm Bauträger und Rohbauunternehmen in Regress. Das OLG Frankfurt bestätigte die Haftung beider, obwohl die Sicherungspflicht vertraglich an den Rohbauer übertragen war. Mitverschulden von Bauhelfer und Arbeitgeberin:

Die drei Lehren – ohne Juristendeutsch

1) Delegation schützt nicht vor Verantwortung

Auch wenn Sicherheitsaufgaben vertraglich „wegdelegiert“ werden: Der Besteller/Bauträger trägt weiter Schutzpflichten aus dem Werkvertrag. Er muss Arbeitsräume/Arbeitsplätze sicher zur Verfügung stellen – auch für Beschäftigte von Nachunternehmern. Rechtlich basiert das auf §§ 618/619 BGB (Fürsorgepflicht; keine Vorabbeschränkung) und der vertraglichen Haftung nach § 280 BGB. Der Bauleiter handelt als Erfüllungsgehilfe – sein Versäumnis wird dem Bauträger zugerechnet (§ 278 BGB). Genau das hat das OLG Frankfurt betont.

Praxis‑Tipp: Delegation ist nur belastbar, wenn Zuständigkeit, Eignung, klare Anweisung und Kontrolle dokumentiert sind. Ohne Nachweis bleibt die Verantwortung beim Auftraggeber hängen. (Mehr dazu unten im „Delegations‑Check“.)

2) Wer die Gefahr schafft, muss sichern

Die Mitarbeiter des Rohbauers entfernten die Abdeckung – damit hatten sie die Sachherrschaft über die Gefahrenstelle. Ergebnis: eigene Verkehrssicherungspflicht und Haftung des Rohbauunternehmens über § 831 BGB (Verrichtungsgehilfe). Ein „der Bauleiter hat’s gesagt“ entlastet hier nicht, solange die Tätigkeit im eigenen Aufgabenbereich liegt.

Praxis‑Tipp: Öffnen = Sichern. Wer eine Abdeckung abnimmt, stellt sofort eine normgerechte Sicherung her (Umwehrung/Abdeckung) oder übergibt schriftlich an einen Verantwortlichen – mit Ersatzmaßnahme.

3) UVV/ASR geben den Mindeststandard vor

Auf Baustellen sind Öffnungen in Böden/Decken zwangsläufig zu sichern (DGUV Vorschrift 38, § 10). Bewegliche Abdeckungen und Umwehrungen dürfen nur aus der Schutzstellung gebracht werden, wenn gleichzeitig andere Schutzmaßnahmen greifen (ASR A2.1). Diese Regeln definieren den Mindeststandard der Verkehrssicherung.

Praxis‑Tipp: Bei Innenausbau‑Starts immer Freigabe für Öffnungen: Ist die Abdeckung weg, muss eine feste, gegen Verschieben gesicherte Abdeckung oder eine Umwehrung stehen – dokumentiert mit Foto und Datum.

Der Fall – kurz erklärt, damit es sitzt

  • Bauträger beauftragte Rohbauer und Stuckateur.
  • Bauleiter veranlasste das Entfernen der Treppenabdeckung, ohne Nachkontrolle.
  • Rohbauer sicherte die Öffnung nicht wieder.
  • Bauhelfer des Stuckateurs betritt den dunklen Rohbau, weicht Material aus, stürzt ins offene Treppenauge.
  • BG erkennt 30 % MdE, nimmt Bauträger und Rohbauer in Regress (§ 116 SGB X). Gericht: Haftung 2/3 bei Bauträger/Rohbauer, 1/3 Mitverschulden Bauhelfer/Arbeitgeberin (§ 254 BGB).

Warum die Kürzung um 1/3? Der Helfer bewegte sich im unbeleuchteten Rohbau ohne gesicherte Kenntnis über den Zustand. Sein Arbeitgeber schickte ihn ohne Gefährdungsbeurteilung/Unterweisung. Das mindert den Anspruch – hebt aber die Kernverantwortung der Verursacher (Bauträger/Rohbauer) nicht auf.

Rechtlicher Hintergrund – in „Alltagssprache“

  • Vertragliche Haftung: Wer einen Auftrag vergibt, muss für sichere Bedingungen sorgen (§§ 618/619 i. V. m. § 280 BGB). Das gilt auch zugunsten der Beschäftigten von Nachunternehmern („Schutzwirkung für Dritte“). Der Bauleiter ist Erfüllungsgehilfe: Sein Fehler = Ihr Fehler (§ 278 BGB).
  • Deliktische Haftung: Bestellt ein Unternehmen Leute, die in seinem Auftrag handeln, haftet es für deren Fehlverhalten, sofern keine sorgfältige Auswahl/Instruktion/Überwachung nachgewiesen wird (§ 831 BGB).
  • BG‑Regress: Nach Unfällen gehen Ansprüche des Verletzten gegen Dritte auf die BG über (§ 116 SGB X). Deshalb fordert die BG die Kosten zurück.
  • Arbeitsschutz‑Pflichten: Organisation (§ 3), Gefährdungsbeurteilung (§ 5), Unterweisung (§ 12) – laufend, aktuell, nachweisbar.
  • Technische Regeln: DGUV Vorschrift 38 § 10 (Öffnungen sichern), ASR A2.1 (Schutz vor Absturz) konkretisieren, wie gesichert wird.

Delegations‑Check

So wird aus „übertragen“ tatsächlich „entlastend“:

  1. Zuständigkeit glasklar: In der Baustellenordnung steht wörtlich, wer Öffnungen sichert – mit Vertretung bei Abwesenheit.
  2. Eignung belegen: Fachkunde und Unterweisung der Beauftragten dokumentieren (Datum, Inhalte, Unterschrift).
  3. Konkrete Anweisung: „Abdeckung abgenommen? → Umwehrung Typ XY montieren; Kennzeichnung; Zutritt nur für …; Foto‑Nachweis.“
  4. Kontrolle: Bauleitung prüft, dokumentiert Mängel und Fristen. Ohne Kontrolle keine echte Delegation (Stichwort: Erfüllungsgehilfe § 278 BGB).

Praxis‑Tipp: Legen Sie eine Freigabe‑Karte „Treppenauge“ an (QR‑Formular reicht): Anlass, Ort, Sicherungsart, Verantwortliche, Ersatzmaßnahme, Info an Folgegewerke, Fotos, Gültigkeit.

Saubere Baustelle: so vermeiden Sie den Klassiker „offenes Treppenauge“

  • Vor jedem Gewerkwechsel (z. B. Innenputz): kurze Begehung + Freigabe.
    Merksatz: „Wer öffnet, sichert – bis zur schriftlichen Übergabe.“
  • Technik vor Orga: feste Abdeckungen/Umwehrungen zuerst, dann Kennzeichnung und Zutrittsregeln (ASR‑Prinzip).
  • Dunkle Bereiche meiden: Beleuchtung herstellen oder sperren. „Blindes“ Betreten ist kein Arbeitsstil, sondern Risiko – und am Ende teuer.
  • Fremdfirmen informieren: Statusänderungen (Abdeckung entfernt) proaktiv an alle Folgegewerke melden – kurz, schriftlich.
  • Unterweisen, nicht nur unterschreiben lassen: Auftrag, Restgefahren und Verhalten im Rohbau klar erläutern; Wiederholung bei Änderungen.

Warum das wichtig ist – in Euro gedacht

BG‑Regresse umfassen Heilbehandlung, Renten, MdE‑Leistungen. Summen laufen über Jahre. Wer Organisation, Delegation und Sicherung nachweisbar im Griff hat, senkt das Haftungsrisiko spürbar. Rechtsgrundlage: § 116 SGB X (Anspruchsübergang), § 254 BGB (Mitverschulden – aber keine Rettungsinsel).

Kurz‑Fazit

Das OLG Frankfurt bestätigt, was auf Baustellen seit jeher gilt: UVV/ASR sind Mindeststandard. Delegation braucht Kontrolle. Wer öffnet, sichert. Wer das beherzigt – und sauber dokumentiert – hält sein Unternehmen aus Regress und Ärger.

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Quellen:
OLG Frankfurt, Urt. v. 27.10.2021 – 12 U 293/20 (Sturz in ungesicherte Treppenöffnung).
DGUV Vorschrift 38 „Bauarbeiten“, § 10 Sicherung von Öffnungen/Vertiefungen.
ASR A2.1 „Schutz vor Absturz“ (BAuA).
ArbSchG §§ 3, 5, 12 – Organisation, Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung.
BGB §§ 278 (Erfüllungsgehilfe), 831 (Verrichtungsgehilfe), 254 (Mitverschulden).
SGB X § 116 – Anspruchsübergang auf den Unfallversicherungsträger.

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