„Mehrwert oder bürokratische Überlastung für Unternehmer und Sicherheitsfachkräfte?“

1. Einleitung

Die DGUV Vorschrift 2 (Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“) konkretisiert die Anforderungen des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG). Sie regelt verbindlich, welche Maßnahmen Unternehmer treffen müssen, um Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit (SiFa) zu bestellen und einzusetzen, damit Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz effektiv gewährleistet werden.

Die Vorschrift beeinflusst maßgeblich, wie Arbeitsschutz in der betrieblichen Praxis konkret umgesetzt wird. Sie definiert Umfang, Qualifikation und Form der sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Betreuung. Unternehmer und Fachkräfte für Arbeitssicherheit sind verpflichtet, diese Anforderungen umzusetzen. Somit hat die DGUV Vorschrift 2 unmittelbare Auswirkungen auf den betrieblichen Alltag und die organisatorischen Prozesse im Unternehmen.

Nach über zehn Jahren erfolgte nun Ende 2024 eine grundlegende Überarbeitung dieser Vorschrift. Dabei wurden insbesondere die Anforderungen an die Qualifikation der Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die Struktur und der Umfang der Betreuung sowie die Integration digitaler Betreuungsformen umfassend verändert. Im Kern steht dabei eine Erhöhung der Anforderungen an die sicherheitstechnische Fachkunde sowie spezifische Regelungen zur Bereichsqualifizierung („Lernfeld 6“).

Diese grundlegenden Änderungen werfen eine entscheidende Fragestellung auf:

„Ist die neue DGUV Vorschrift 2 tatsächlich ein Fortschritt für Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Unternehmer, oder schafft sie vielmehr neue rechtliche und praktische Hürden?“

Zur Beantwortung dieser Frage folgt im ersten Schritt ein übersichtlicher und unmittelbarer Vergleich zwischen der bisherigen DGUV Vorschrift 2 (Stand 2012) und der neuen DGUV Vorschrift 2 (Stand 2024).

Tabelle 1: Direkter Vergleich der zentralen Regelungen DGUV Vorschrift 2 (alt, 2012) und DGUV Vorschrift 2 (neu, 2024)

BereichDGUV Vorschrift 2 (alt, Stand 2012)DGUV Vorschrift 2 (neu, Stand 2024)
BetreuungsumfangBetriebe bis 10 Beschäftigte: Regelbetreuung nach Anlage 1. Über 10 Beschäftigte: Regelbetreuung nach Anlage 2.Betriebe bis 20 Beschäftigte: Regelbetreuung nach Anlage 1. Über 20 Beschäftigte: Regelbetreuung nach Anlage 2.
Digitale BetreuungKaum spezifische Regelungen; Betreuung hauptsächlich in Präsenz erforderlich.Digitale Betreuung bis zu einem Drittel der Leistungen generell erlaubt, unter definierten Bedingungen bis zu 50 % möglich.
Fachkunde der SiFaAkademischer Abschluss („Sicherheitsingenieur“) mit mind. 1 Jahr Berufserfahrung ausreichend; alternativ Meister, Techniker, Ingenieur mit 2 Jahren Berufserfahrung plus staatl./UVT-Lehrgang.Für alle neu verpflichtend: Erfolgreicher Abschluss des staatlichen oder UVT-Qualifizierungslehrgangs (Lernfelder 1–5) und verpflichtend zusätzlich Lernfeld 6 (branchenspezifische Qualifikation bei UVT).
Gleichwertige QualifikationenPersonen mit gleichwertiger Qualifikation konnten tätig werden.Personen mit Studienabschluss (z. B. Physik, Chemie, Humanmedizin, Ergonomie) brauchen zusätzlichen Qualifizierungslehrgang und ggf. Einzelzulassung durch Behörde (§ 7 Abs. 2 ASiG).
BerichtspflichtRegelmäßiger schriftlicher Bericht über Erfüllung der Aufgaben.Regelmäßiger elektronischer oder schriftlicher Bericht inklusive Nachweis der Fortbildungen.
ÜbergangsregelungenKlare Übergangsregelung bezüglich der vorhandenen Qualifikationen.Detaillierte Übergangsregelungen zur Fachkunde, Berichtspflicht und bisherigen Verträgen.

Die Frage, ob diese Neuerungen tatsächlich ein Fortschritt oder eher ein Hemmnis für die Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Unternehmer darstellen, muss nicht nur auf Basis der faktischen Veränderungen, sondern insbesondere im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen und praktischen Herausforderungen geprüft werden. Dazu sollen im nachfolgenden Teil insbesondere juristische und praktische Aspekte beleuchtet werden, um die Rechtssicherheit und Praktikabilität der neuen DGUV Vorschrift 2 kritisch zu hinterfragen und abschließend bewerten zu können.

Die neue DGUV Vorschrift 2 enthält klare Übergangsregelungen, die explizit vorsehen, dass Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die nach der bisher gültigen Fassung (2012) ihre Qualifikation erworben haben, weiterhin als ausreichend qualifiziert gelten.
Im Detail besagt die neue DGUV Vorschrift 2 (Stand 29.11.2024):

„Sofern Ärztinnen oder Ärzte oder Fachkräfte für Arbeitssicherheit nach einer vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Unfallverhütungsvorschrift geltenden Fassung ihre arbeitsmedizinische oder sicherheitstechnische Fachkunde erfolgreich erworben haben, kann der Unternehmer die in dieser Unfallverhütungsvorschrift insoweit geforderte Fachkunde als gegeben ansehen.“.

Klartext für Fachkräfte („Altfälle“):
Wer bereits als Sicherheitsingenieur oder Fachkraft für Arbeitssicherheit qualifiziert und bestellt ist, bleibt auch nach Inkrafttreten der neuen DGUV Vorschrift 2 voll anerkannt.
Ein zusätzliches Absolvieren des neuen branchenspezifischen Qualifizierungslehrgangs („Lernfeld 6“) bei den Unfallversicherungsträgern (UVT) ist für bereits qualifizierte Fachkräfte nicht erforderlich.
Diese Übergangsregelung schützt somit alle „Altfälle“ ausdrücklich und stellt klar, dass es keinen Zwang zur Nachqualifikation gibt.

Fazit:
Du bist als bereits qualifizierte Fachkraft von den neuen Anforderungen ausdrücklich nicht betroffen.
Rechtlich und praktisch gibt es für bestehende Qualifikationen Bestandsschutz.
Es besteht somit keine Pflicht zur Teilnahme am neuen branchenspezifischen Qualifizierungslehrgang (Lernfeld 6), wenn du vor Inkrafttreten der neuen Vorschrift bereits fachlich anerkannt warst.
Damit kannst du mit rechtlicher Sicherheit weiterhin deine bisherigen Qualifikationen vollumfänglich nutzen und musst nicht erneut eine Qualifizierung bei den UVT durchlaufen.

2. Hintergrund und Ziel der DGUV Vorschrift 2

Ursprung und Zielsetzung der DGUV Vorschrift 2

Die DGUV Vorschrift 2, auch bekannt als Unfallverhütungsvorschrift „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“, hat ihren Ursprung im Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) von 1973. Dieses Gesetz verpflichtet Unternehmer, Betriebsärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen, um betriebliche Risiken systematisch zu erkennen, Unfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen zu verhüten und die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.

Ziel der DGUV Vorschrift 2 ist es, die Anforderungen des Arbeitssicherheitsgesetzes praxisgerecht umzusetzen und Unternehmern sowie Fachkräften für Arbeitssicherheit verbindliche Vorgaben zu Qualifikation, Umfang und Organisation der sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Betreuung zu geben. Dadurch soll gewährleistet werden, dass Arbeitgeber ihre Verantwortung für Sicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb effektiv wahrnehmen können.

Bedeutung der Vorschrift in der Praxis des Arbeitsschutzes

In der betrieblichen Praxis hat sich die DGUV Vorschrift 2 als zentrales Regelwerk etabliert, da sie klare und verbindliche Maßgaben für die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung enthält. Sie definiert insbesondere folgende Kernpunkte:

  • Anforderungen an die Qualifikation und Fachkunde der Fachkräfte für Arbeitssicherheit.
  • Organisation und Umfang der sicherheitstechnischen Betreuung im Betrieb.
  • Anforderungen an die arbeitsmedizinische Fachkunde der Betriebsärzte.
  • Melde-, Berichtspflichten sowie Nachweispflichten der Unternehmer gegenüber Behörden und Unfallversicherungsträgern.

Durch diese klare Festlegung trägt die Vorschrift wesentlich zur Rechtssicherheit bei, indem sie Arbeitgebern und Fachkräften transparent darstellt, wie sie ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen können. Gleichzeitig setzt sie qualitative Standards im Arbeitsschutz, was langfristig die Zahl von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten senken und das Niveau von Sicherheit und Gesundheitsschutz erhöhen soll.

Übersicht über bisherige Versionen und ihre Akzeptanz in der Praxis

Die DGUV Vorschrift 2 wurde in ihrer bisherigen Fassung zum 01. Januar 2011 eingeführt und löste die zuvor geltende Unfallverhütungsvorschrift BGV A2 („Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“) aus dem Jahr 2005 ab. Damit brachte die DGUV Vorschrift 2 erstmals eine differenzierte Regelung der Betreuungspflichten nach Unternehmensgröße und Branchenzugehörigkeit, was in der Praxis eine weitgehend positive Resonanz hervorrief. Unternehmer und Fachkräfte für Arbeitssicherheit schätzten die damit verbundene Flexibilität sowie Klarheit und Rechtssicherheit.

Im November 2024 wurde nun eine neue Version der DGUV Vorschrift 2 veröffentlicht, die wesentliche Änderungen beinhaltet. Neben einer Anpassung der Schwellenwerte für Betreuungsmodelle und einer neuen, expliziten Regelung zur Nutzung digitaler Betreuungsformen, bringt die neue Version insbesondere erhöhte Anforderungen an die Qualifikation der Fachkräfte für Arbeitssicherheit mit sich.

Um die bisherigen Regelungen klar gegenüberzustellen, folgt eine vergleichende Übersicht:

Tabelle 2: Überblick über wesentliche Entwicklungsschritte der DGUV Vorschrift 2

Aspekt der VorschriftVersion 2005 (BGV A2)Version 2012 (DGUV V2 alt)Version 2024 (DGUV V2 neu)
Qualifikationsanforderungen Fachkräfte für ArbeitssicherheitIngenieure, Techniker, Meister mit UVT-Lehrgang, für Sicherheitsingenieure reicht akademische Ausbildung und 1 Jahr Praxis aus.Keine wesentlichen Änderungen zur Version 2005.Zusätzliche zwingende Qualifizierung „Lernfeld 6“ (bereichsbezogene Qualifizierung) durch UVT erforderlich.
BetreuungsmodelleRegelbetreuung nach Unternehmensgröße; bis 10 Beschäftigte Anlage 1, über 10 Beschäftigte Anlage 2.Keine wesentlichen Änderungen zur Version 2005.Erhöhung der Grenze für Regelbetreuung von 10 auf 20 Beschäftigte. Neue differenzierte Modelle ab 20 Beschäftigten.
Digitale BetreuungNicht explizit geregelt.Keine wesentlichen Änderungen zur Version 2005.Digitale Betreuung (bis zu 1/3 der Leistungen, unter definierten Bedingungen max. 50%) explizit erlaubt und geregelt.
Berichtspflichten UnternehmerSchriftlicher Bericht der Betriebsärzte und SiFa.Keine wesentlichen Änderungen zur Version 2005.Schriftlicher oder elektronischer Bericht; zusätzliche Dokumentation der Fortbildungen.

In der Praxis war die Akzeptanz der DGUV Vorschrift 2 (Version 2012) sehr hoch, da sie die erforderliche Sicherheit und Klarheit für Unternehmer und Fachkräfte bot, ohne unnötige Zusatzbelastungen zu schaffen. Die nun vorliegende neue Fassung (2024) führt allerdings – insbesondere durch erweiterte Qualifikationsanforderungen – zu Diskussionen, ob die zusätzlichen Regelungen tatsächlich praxisgerecht sind oder den betrieblichen Alltag durch bürokratische Anforderungen belasten.

Im nachfolgenden Abschnitt werden daher sowohl die rechtliche Zulässigkeit als auch die praktischen Auswirkungen der Neuregelung näher geprüft.

Wann trifft § 18 ASiG zu?

Die Bestellung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit setzt gemäß ASiG und DGUV Vorschrift 2 grundsätzlich voraus:
Ingenieur, Techniker, oder Meister mit entsprechender Qualifikation sowie absolvierte SiFa-Ausbildung nach DGUV V2, oder
Gleichwertige Qualifikation (z.B. Studienabschluss in Physik, Chemie, Biologie, Medizin oder Arbeitswissenschaften) mit ergänzendem Lehrgang und ggf. Einzelzulassung nach § 7 Abs. 2 ASiG.

Personen, die keine formalen Qualifikationen als Meister, Techniker oder Ingenieur nachweisen können und nicht über eine gleichwertige akademische Qualifikation verfügen, erfüllen nicht automatisch die formalen Anforderungen. Sie müssen explizit durch die zuständige Behörde zugelassen werden.
Die Ausnahme nach § 18 ASiG ist genau dafür vorgesehen:
Sie erlaubt die Bestellung von Personen, die noch nicht alle formalen Voraussetzungen erfüllen,
jedoch realistisch in kurzer Zeit die fehlenden Qualifikationen nachholen können.

Konsequenzen für die Praxis:
Wer ohne formale Qualifikation (kein Meister, Techniker, Ingenieur, o.ä.) tätig werden möchte, benötigt zwingend eine behördliche Ausnahmegenehmigung nach § 18 ASiG.
Diese Erlaubnis wird stets individuell und zeitlich begrenzt erteilt.
Innerhalb dieser Frist muss die Fachkraft die vollständige formale Qualifikation nachweisen.
Die Bestellung ohne Erlaubnis der Behörde wäre nicht rechtskonform und könnte zu rechtlichen Konsequenzen für den Arbeitgeber führen.

3. Wesentliche Änderungen in der neuen DGUV Vorschrift 2 (2024)

Die im November 2024 veröffentlichte Neufassung der DGUV Vorschrift 2 beinhaltet eine Reihe grundlegender Änderungen, die sowohl die Qualifikationsanforderungen als auch die praktische Durchführung der sicherheitstechnischen und betriebsärztlichen Betreuung im Unternehmen beeinflussen. Ziel dieser Anpassungen ist es, aktuellen Entwicklungen in Technik, Arbeitsmedizin und Praxisanforderungen gerecht zu werden und gleichzeitig rechtliche Klarheit zu schaffen.

Im Folgenden sind die wichtigsten Veränderungen übersichtlich dargestellt:

Tabelle 1: Direkter Vergleich „alt“ (DGUV Vorschrift 2, Stand 2012) vs. „neu“ (DGUV Vorschrift 2, Stand 2024)

RegelungsbereichDGUV Vorschrift 2 (2012)DGUV Vorschrift 2 (2024)
Betreuungsmodelle und BeschäftigtenzahlRegelbetreuung nach Anlage 1 bis 10 Beschäftigte, über 10 Beschäftigte nach Anlage 2.Grenze angehoben: Regelbetreuung bis 20 Beschäftigte Anlage 1, über 20 Beschäftigte Anlage 2.
Qualifikationsanforderungen SiFaSicherheitsingenieure: Ingenieurabschluss + mind. 1 Jahr Berufserfahrung ausreichend. Andere Fachkräfte: Techniker, Meister oder gleichwertige Qualifikation + staatl./UVT-Lehrgang.Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte: zwingend staatlicher oder UVT-Qualifizierungslehrgang (Lernfelder 1–5) und zusätzlich zwingend branchenspezifisches Lernfeld 6 bei UVT.
Digitale BetreuungKeine expliziten Vorgaben für digitale Betreuung. Präsenzbetreuung üblich.Explizite Regelung: digitale Betreuung bis max. 1/3, unter besonderen Bedingungen bis zu 50% zulässig.
BerichtspflichtenSchriftlicher Bericht zu erledigten Aufgaben.Schriftlicher oder elektronischer Bericht, zusätzliche Nachweispflicht über regelmäßige Fortbildungen.
Alternative Betreuungsmodelle (Unternehmermodell)Klar geregelte alternative Betreuung bis max. 50 Beschäftigte (Anlagen 3 und 4).Ebenfalls klar geregelte alternative Betreuung bis max. 50 Beschäftigte, ergänzt durch digitale Lösungen und zusätzliche Anforderungen zur Qualifizierung.
Übergangsregelung (Bestandsschutz)Bestandsschutz bestehender Qualifikationen klar geregelt.Weiterhin klarer Bestandsschutz, jedoch mit konkreten Übergangsregelungen für Verträge, Berichtspflichten und Nachqualifizierung.

Besondere Änderungen bei den Qualifikationsanforderungen („Lernfeld 6“):

Die wohl tiefgreifendste Änderung betrifft die Anforderungen an die Qualifikation der Fachkräfte für Arbeitssicherheit (SiFa). Neu eingeführt wurde das sogenannte „Lernfeld 6“ (bereichsbezogene Qualifizierung):

  • Während bisher akademisch ausgebildete Sicherheitsingenieure allein durch ihren Hochschulabschluss und mindestens einjährige praktische Berufserfahrung unmittelbar die fachlichen Anforderungen erfüllten, fordert die neue DGUV Vorschrift 2 zwingend den zusätzlichen Nachweis einer branchenspezifischen Qualifikation (Lernfeld 6).
  • Diese Zusatzqualifikation kann ausschließlich bei den zuständigen Unfallversicherungsträgern (UVT) erworben werden und ist nun verpflichtender Bestandteil für die Bestellung neuer Fachkräfte für Arbeitssicherheit.
  • Damit werden bisherige akademische Qualifikationen formal eingeschränkt, und der Zugang zur Tätigkeit als SiFa wird unmittelbar von einem zusätzlichen UVT-Lehrgang abhängig gemacht.

Relevante Auswirkungen in der Praxis:

  • Erhöhung der Qualifikationsanforderungen für zukünftige Fachkräfte für Arbeitssicherheit.
  • Verlagerung des Schwerpunktes der Qualifizierung weg von Hochschulen hin zu Unfallversicherungsträgern.
  • Potenziell erhöhter organisatorischer und finanzieller Aufwand für Unternehmen durch zusätzlichen Qualifizierungsbedarf.

Anpassungen im Bereich der digitalen Betreuung:

Die Neufassung der DGUV Vorschrift 2 integriert explizite Regelungen zur Nutzung digitaler Betreuungsmethoden:

  • Grundsätzlich bleibt Präsenzbetreuung der Regelfall, es sind jedoch klare Möglichkeiten zur digitalen Betreuung geschaffen worden.
  • Digitale Betreuung ist nun generell bis zu einem Drittel der gesamten Leistungen zulässig.
  • Unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Erstbegehung, genaue Kenntnis der betrieblichen Gegebenheiten, ausreichende technische Ausstattung) darf der Anteil digitaler Betreuung auf maximal 50 % erhöht werden.

Relevante Auswirkungen in der Praxis:

  • Klare Rahmenbedingungen für digitale Betreuung schaffen Rechtssicherheit.
  • Potenzielle Entlastung durch flexiblere Betreuungsformen.
  • Die Digitalisierung der Arbeitsschutzbetreuung wird erheblich vorangetrieben.

Geänderte Betreuungsmodelle und deren Voraussetzungen:

Die Neufassung ändert zudem die Schwellenwerte und Modelle der Betreuung:

  • Die Grenze zwischen kleiner und großer Regelbetreuung wurde von bisher 10 auf nun 20 Beschäftigte angehoben.
  • Alternative Betreuungsmodelle („Unternehmermodell“) bleiben erhalten und sind weiterhin bis maximal 50 Beschäftigte möglich, jedoch wurden diese Modelle nun explizit um digitale Lösungen erweitert.
  • Zusätzliche Anforderungen zur Teilnahme an Informations-, Motivations- und Fortbildungsmaßnahmen wurden konkretisiert und verschärft.

Relevante Auswirkungen in der Praxis:

  • Erweiterte Flexibilität und Anpassung an die realen Gegebenheiten vieler Betriebe.
  • Erhöhung der Anforderungen an Betriebe, die alternative Betreuungsmodelle wählen.
  • Potenzielle organisatorische Veränderungen durch die stärkere Integration digitaler Instrumente.

Diese Änderungen sind als tiefgreifender Eingriff in die Praxis der sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Betreuung zu bewerten und müssen im weiteren Verlauf auch hinsichtlich ihrer Rechtssicherheit, Praktikabilität und möglicher wirtschaftlicher Folgen sorgfältig geprüft werden.

Kritische Bewertung des neuen Lernfeldes 6 in der DGUV Vorschrift 2 (2024)

Mit der neuen DGUV Vorschrift 2 (Stand 2024) wurde eine zusätzliche Qualifikationsanforderung für Fachkräfte für Arbeitssicherheit (SiFa) eingeführt: das sogenannte „Lernfeld 6“, eine verpflichtende, branchenspezifische Zusatzausbildung ausschließlich bei den Unfallversicherungsträgern (UVT).

Fachliche Sicht:
Fragwürdig erscheint, warum ein kurzer UVT-Lehrgang fachlich höherwertig sein soll als eine umfassende akademische Ausbildung im Bereich Sicherheitsingenieurwesen.

Juristische Sicht:
Diese Neuregelung könnte eine rechtlich bedenkliche Einschränkung der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) darstellen, da sie die akademische Qualifikation praktisch abwertet und zugleich ein Ausbildungsmonopol für die UVT schafft.

Empfehlung:
Eine rechtliche und praktische Prüfung dieser Regelung ist dringend angezeigt. Der Gesetzgeber sollte gegebenenfalls eingreifen, um die freie Berufsausübung, den Wettbewerb und die Anerkennung hochwertiger akademischer Abschlüsse zu schützen. Branchenspezifische Zusatzkurse könnten optional oder als Fortbildung sinnvoll sein – jedoch nicht ausschließlich durch die UVT angeboten.

4. Rechtliche Bewertung der neuen DGUV Vorschrift 2 (2024)

Die Neufassung der DGUV Vorschrift 2 (Stand 2024) bringt umfangreiche Änderungen mit sich, deren rechtliche Zulässigkeit im Folgenden genauer betrachtet werden soll.

4.1 Verfassungsrechtliche Prüfung

Berufsfreiheit (Artikel 12 Grundgesetz, GG):

Prüfung auf Vereinbarkeit der zusätzlichen Anforderungen („Lernfeld 6“) mit Art. 12 GG:

Artikel 12 GG garantiert jedem Bürger das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben. Eine Einschränkung dieser Berufsfreiheit ist nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig, erforderlich und geeignet ist, ein legitimes öffentliches Ziel zu erreichen.

  • Legitimes Ziel?
    Die DGUV begründet die Einführung des neuen Lernfeldes 6 mit der Notwendigkeit, branchenspezifische Fachkenntnisse bei Fachkräften für Arbeitssicherheit (SiFa) sicherzustellen. Grundsätzlich könnte dies ein legitimes Ziel sein, nämlich die Verbesserung der Qualität des betrieblichen Arbeitsschutzes.
  • Geeignetheit?
    Fraglich ist, ob ein verpflichtendes Lernfeld 6 bei Unfallversicherungsträgern (UVT) qualitativ tatsächlich geeignet ist, das bereits durch akademische Ausbildungen (z. B. Sicherheitsingenieurwesen) vorhandene Niveau noch einmal deutlich zu erhöhen.
  • Erforderlichkeit?
    Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob das Ziel branchenspezifischer Qualifikation nicht auch weniger einschneidend erreicht werden könnte, etwa durch freiwillige Fortbildungen oder Angebote anderer Bildungsträger.
    Die zwingende Exklusivität (nur UVT) erscheint jedenfalls bedenklich.
  • Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit)?
    Die neue Regelung könnte unverhältnismäßig sein, da sie bestehende akademische Qualifikationen faktisch entwertet und gleichzeitig ein Ausbildungsmonopol der UVT schafft. Der Eingriff ist zudem wirtschaftlich belastend für Unternehmen und könnte qualifizierte Personen abschrecken.

Bewertung:
Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der verpflichtenden Zusatzqualifikation (Lernfeld 6). Die Regelung könnte somit gegen Art. 12 GG verstoßen.

Freiheit von Forschung und Lehre (Artikel 5 Abs. 3 GG):

Prüfung, ob die Neuregelung in die Hochschulautonomie eingreift:

Artikel 5 Abs. 3 GG garantiert Hochschulen die Freiheit in Forschung und Lehre. Diese Hochschulautonomie umfasst insbesondere die Freiheit, Inhalte und Anforderungen von Studiengängen eigenständig festzulegen.

Die neue DGUV Vorschrift 2 verlangt von Hochschulabsolventen im Bereich Sicherheitsingenieurwesen trotz abgeschlossenem Studium zusätzlich einen verpflichtenden branchenspezifischen UVT-Lehrgang. Dies könnte als Eingriff in die Hochschulautonomie interpretiert werden, da der Hochschulabschluss hierdurch nicht mehr uneingeschränkt anerkannt wird und die inhaltliche Hoheit über die Qualifikation faktisch eingeschränkt wird.

Juristische Bewertung der Zulässigkeit:

KriteriumBewertung
Legitimes Ziel der Regelung?Ja, Verbesserung des Arbeitsschutzes
Eingriff in Hochschulautonomie?Ja, Hochschulabschlüsse verlieren an formaler Anerkennung
Verhältnismäßigkeit?Zweifelhaft, da erheblicher Eingriff in Hochschulhoheit und akademische Qualifikation
Alternativen vorhanden?Ja, freiwillige branchenspezifische Fortbildung wäre weniger eingreifend

Fazit:
Die Regelung könnte tatsächlich einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre darstellen, weshalb eine gerichtliche Überprüfung durchaus denkbar wäre.

4.2 Prüfung der Ermächtigungsgrundlage

Gemäß Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) und Sozialgesetzbuch (SGB) VII regeln Unfallversicherungsträger verbindlich die Bestellung von Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten. Jedoch muss jede Regelung der Unfallversicherungsträger (UVT) innerhalb des rechtlichen Rahmens dieser Gesetze bleiben.

Die entscheidende Frage hierbei ist, ob die Verpflichtung zu einem zusätzlichen UVT-Lehrgang (Lernfeld 6) tatsächlich im ASiG oder SGB VII hinreichend gedeckt ist:

  • Das ASiG fordert allgemein ausreichende Fachkunde (§ 4 ASiG), spezifiziert aber nicht ausdrücklich, dass eine akademische Ausbildung allein nicht mehr ausreichen könnte.
  • Die neue DGUV Vorschrift 2 verlangt nun explizit die branchenspezifische Zusatzqualifikation ausschließlich über die UVT.

Bewertung der Zulässigkeit der Ermächtigungsgrundlage:

Es bestehen berechtigte Zweifel, ob der Gesetzgeber bei Erlass des ASiG diese Form einer verpflichtenden, ausschließlichen UVT-Qualifikation tatsächlich vorgesehen hat. Ein solches Ausbildungsmonopol könnte daher die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage überschreiten.

4.3 Arbeitsrechtliche Konsequenzen

Die Einführung der neuen DGUV Vorschrift 2 bringt auch arbeitsrechtlich relevante Fragen mit sich, insbesondere bezüglich bestehender Arbeitsverhältnisse:

  • Bestandsschutz: Bereits qualifizierte und bestellte Fachkräfte genießen Bestandsschutz. Sie müssen die neuen Anforderungen nicht nachträglich erfüllen. Neue Fachkräfte hingegen müssen die zusätzliche Qualifikation erwerben.
  • Folgen bei Nichterfüllung: Falls ein Arbeitgeber Fachkräfte ohne die vorgeschriebene Qualifikation bestellt, kann dies rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (Bußgelder, Beanstandungen durch Aufsichtsbehörden). Arbeitgeber müssen also genau prüfen, ob neu eingestellte SiFa die neuen Anforderungen erfüllen.

Tabelle: Praktische Folgen für Arbeitgeber bei Nichterfüllung neuer Anforderungen

SituationFolge
Bestellung einer SiFa ohne Lernfeld 6 (nach 2024)rechtliche Beanstandungen, ggf. Bußgelder
Bestandsschutz bestehender SiFa (Bestellung vor 2024)keine neuen Anforderungen, keine Folgen

Fazit der rechtlichen Bewertung:

Die neue DGUV Vorschrift 2 (2024) bringt rechtlich äußerst kritische Aspekte mit sich:

  • Die zusätzlichen Anforderungen (Lernfeld 6) greifen erheblich in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und in die Hochschulautonomie (Art. 5 Abs. 3 GG) ein.
  • Ob diese Eingriffe gerechtfertigt und verhältnismäßig sind, erscheint fraglich.
  • Die Ermächtigungsgrundlage im ASiG könnte überschritten worden sein.
  • Arbeitsrechtlich entstehen zusätzliche Anforderungen, die Arbeitgeber bei der Bestellung neuer Fachkräfte unbedingt berücksichtigen müssen.

Eine juristische Klärung und gegebenenfalls Korrektur durch Gesetzgeber oder Gerichte erscheint erforderlich, um Rechtssicherheit für Unternehmen und Fachkräfte zu schaffen.

5. Praxisrelevante Auswirkungen für Sicherheitsfachkräfte (SiFa)

Donato Muro LL.M.

Die Neuregelung der DGUV Vorschrift 2 (2024) verändert maßgeblich die Anforderungen an die Qualifikation von Fachkräften für Arbeitssicherheit. Nachfolgend eine fachlich fundierte Betrachtung der Vor- und Nachteile sowie eine direkte Gegenüberstellung relevanter Praxis-Auswirkungen:

5.1 Vor- und Nachteile für Sicherheitsfachkräfte

Erhöhtes Qualifikationsniveau oder unnötige Doppelbelastung?

Die neue DGUV Vorschrift 2 fordert von Fachkräften für Arbeitssicherheit (SiFa) neben der bisherigen Qualifikation (z. B. Ingenieur, Techniker, Meister plus UVT-Ausbildung) zusätzlich ein obligatorisches, branchenspezifisches Lernfeld (Lernfeld 6) bei den Unfallversicherungsträgern (UVT).

Vorteile:

  • Spezifischere Branchenkenntnisse, die gezielt auf die Anforderungen einzelner Branchen ausgerichtet sind.
  • Einheitlicher Mindeststandard könnte insgesamt zur Steigerung der Qualität in der Praxis führen.
  • Die gezielte Vertiefung branchenspezifischer Risiken kann Sicherheit und Gesundheitsschutz in Betrieben weiter verbessern.

Nachteile (kritische Betrachtung):

  • Akademische Sicherheitsingenieure, die bereits umfassende Studiengänge absolviert haben, müssen nun zusätzlich eine branchenspezifische UVT-Qualifikation erwerben. Dies könnte eine unnötige Doppelbelastung bedeuten, da viele der geforderten Inhalte möglicherweise bereits im Studium vermittelt wurden.
  • Die Verpflichtung zu einer zusätzlichen Qualifikation bringt zeitlichen und finanziellen Zusatzaufwand mit sich. Dies gilt insbesondere dann, wenn Lehrgänge nur eingeschränkt verfügbar sind und sich dadurch Wartezeiten ergeben könnten.
  • Durch die alleinige Zuständigkeit der UVT entsteht ein Monopol. Das könnte dazu führen, dass andere qualifizierte Anbieter und Hochschulen vom Markt der branchenspezifischen Weiterbildung ausgeschlossen werden.

Kritische Betrachtung der Verfügbarkeit und Kapazität der UVT für Lernfeld 6

Die neuen Regelungen erfordern von den Unfallversicherungsträgern eine ausreichende Kapazität zur Durchführung des verpflichtenden Lernfeldes 6. Aktuell besteht jedoch Unklarheit, ob die UVT tatsächlich über ausreichende personelle und organisatorische Ressourcen verfügen, um alle betroffenen SiFa zeitnah zu schulen.

In der Praxis könnte dies zu erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten führen:

  • Lange Wartezeiten für SiFa bis zur Absolvierung des erforderlichen Lehrgangs.
  • Probleme bei der schnellen Bestellung neuer Fachkräfte aufgrund fehlender Lehrgangskapazitäten.
  • Zusätzlicher organisatorischer und finanzieller Aufwand für Unternehmen und Sicherheitsfachkräfte.

Vergleich akademische Ausbildung vs. UVT-Lehrgänge

MerkmalAkademische Ausbildung (Sicherheitsingenieur)UVT-Lehrgang (Lernfeld 6)
Dauer6–7 Semester Studiumi. d. R. wenige Tage
Umfang und TiefeWissenschaftlich breit fundierte, grundlegende QualifikationBranchenspezifische Vertiefung, praxisbezogen
Anerkennung vor 2024Vollständig anerkanntZusätzliche Vertiefung, freiwillig
Anerkennung ab 2024Nur mit zusätzlichem UVT-LehrgangVerpflichtend zur vollständigen Anerkennung
AnbieterHochschulen (pluralistisch)Ausschließlich UVT (Monopol)
PraxisbezugWissenschaftlich fundiert, oft mit PraxissemesternDirekter, branchenspezifischer Praxisbezug

Es bleibt daher fraglich, ob der UVT-Lehrgang fachlich tatsächlich höherwertig ist als die akademische Ausbildung.

5.2 Tabelle 2: Gegenüberstellung praktischer Auswirkungen für SiFa (alt vs. neu)

AspekteBisherige Regelung (alt, 2012)Neue Regelung (2024)Praxis-Auswirkung
Akademische Ausbildung genügt?Ja, akademischer Abschluss (z.B. Sicherheitsingenieur) mit Berufserfahrung ausreichend.Nein, zusätzlicher UVT-Lehrgang („Lernfeld 6“) zwingend erforderlich.Erheblicher Zusatzaufwand; mögliche Wartezeiten; organisatorische Belastung für Unternehmen und SiFa.
Anerkennung der FachkompetenzJa, volle Anerkennung der akademischen Ausbildung.Teilweise eingeschränkt; akademischer Abschluss allein nicht mehr ausreichend.Kompetenzverlust für Hochschulen und SiFa; faktisches Monopol der UVT bei branchenspezifischer Qualifikation.
WeiterbildungsmöglichkeitenVielfalt (Hochschulen, private Anbieter, UVT) möglich.Ausschließlich UVT zugelassen für Lernfeld 6.Einschränkung der Wahlfreiheit bei Weiterbildung, potentiell reduzierte Konkurrenz und Qualitätsentwicklung.
Arbeitsmarktchancen für neue SiFaGute und schnelle Bestellung möglich.Verzögerungen durch obligatorische Zusatzqualifikation denkbar.Beeinträchtigte Marktchancen neuer Sicherheitsfachkräfte, erschwerte Besetzung offener Stellen.

Fazit der praktischen Bewertung:

Die neue DGUV Vorschrift 2 (2024) bringt erhebliche praktische Herausforderungen mit sich:

  • Die zusätzlichen Qualifikationsanforderungen schaffen eine unnötige Doppelbelastung für bereits gut qualifizierte Fachkräfte.
  • Durch die verpflichtende Durchführung bei den UVT entsteht ein Ausbildungsmonopol, was zu erheblichen Kapazitätsproblemen und Verzögerungen in der Bestellung neuer Fachkräfte führen könnte.
  • Die Neuregelung schwächt faktisch die akademischen Qualifikationen ab und könnte langfristig zu einem Kompetenzverlust führen, der sich negativ auf den Arbeitsschutz auswirken könnte.

Eine kritische Betrachtung der Regelung lässt somit erhebliche Zweifel aufkommen, ob die neue Vorschrift tatsächlich praxisnah, effektiv und sinnvoll ausgestaltet wurde, oder ob sie vielmehr unnötige organisatorische Hürden und Einschränkungen schafft, die letztlich der Qualität und Effizienz im betrieblichen Arbeitsschutz sogar entgegenstehen könnten.

6. Praxisrelevante Auswirkungen für Unternehmer

Die Neuregelung der DGUV Vorschrift 2 (2024) führt für Unternehmer zu erheblichen Veränderungen im praktischen und organisatorischen Bereich. Nachfolgend eine fachlich korrekte und praxisbezogene Analyse der Vor- und Nachteile aus Unternehmersicht.

6.1 Vor- und Nachteile aus Unternehmersicht

Zusätzlicher Aufwand durch erweiterte Qualifikationsanforderungen

Mit Einführung des neuen, branchenspezifischen Lernfeldes 6 (LF 6) wird die Bestellung qualifizierter Fachkräfte für Arbeitssicherheit (SiFa) erschwert:

  • Unternehmer müssen sicherstellen, dass Fachkräfte für Arbeitssicherheit künftig zwingend über die neue zusätzliche Qualifikation („Lernfeld 6“) verfügen.
  • Daraus ergeben sich höhere Kosten (Lehrgangsgebühren, Reisekosten, ggf. Freistellung von Mitarbeitern) sowie ein organisatorischer Mehraufwand (Terminierung, Planung und Integration der neuen Vorgaben in bestehende Abläufe).
  • Betriebe müssen gegebenenfalls länger auf qualifizierte Fachkräfte warten, da diese nun zusätzliche Kurse absolvieren müssen.

Rechtliche und finanzielle Risiken durch neue Regelungen

Die neu eingeführte Pflicht zum Lernfeld 6 erhöht das Risiko rechtlicher Beanstandungen für Arbeitgeber:

  • Wird eine Fachkraft ohne die vollständige Qualifikation bestellt, drohen rechtliche Konsequenzen wie Bußgelder oder Beanstandungen durch die Aufsichtsbehörden.
  • Arbeitgeber tragen die Verantwortung, vor Bestellung einer neuen SiFa zu prüfen, ob diese die erweiterten Anforderungen erfüllt.
  • Durch eine begrenzte Verfügbarkeit der Lehrgänge kann es zu Verzögerungen und somit möglicherweise zu temporären rechtlichen Unsicherheiten für Unternehmer kommen.

Mögliche Engpässe in der Bestellung qualifizierter Fachkräfte

Ein zentrales praktisches Risiko der neuen Vorschrift betrifft die potenziellen Engpässe bei der Bestellung neuer Fachkräfte für Arbeitssicherheit:

  • Aufgrund der Verpflichtung, den branchenspezifischen Qualifizierungslehrgang nur bei den Unfallversicherungsträgern (UVT) zu absolvieren, können längere Wartezeiten entstehen.
  • Es ist unklar, ob die Kapazitäten der UVT für alle Betriebe ausreichend sind, was potenziell zu Engpässen führen könnte.
  • In der Konsequenz könnten Unternehmen möglicherweise Schwierigkeiten haben, ihren gesetzlichen Verpflichtungen zeitgerecht nachzukommen.

6.2 Tabelle 3: Gegenüberstellung praktischer Auswirkungen für Unternehmer (alt vs. neu)

AspekteBisherige Regelung (alt, 2012)Neue Regelung (2024)Unternehmer-Auswirkung
Umfang der SiFa-BetreuungModerat; bisherige akademische Qualifikation und praktische Erfahrung genügen.Erhöht durch neue Anforderungen: Zusätzliche branchenspezifische Qualifikation (Lernfeld 6).Erhöhter finanzieller, zeitlicher und organisatorischer Aufwand für Unternehmer.
Rechtssicherheit bei BestellungUnproblematisch; eindeutige Anerkennung bestehender Qualifikationen.Problematisch, da zusätzliche Qualifikation zwingend gefordert; ggf. behördliche Zulassung nötig.Erhöhtes Risiko rechtlicher Konsequenzen; Arbeitgeber müssen Qualifikationen genauer prüfen.
Nutzung digitaler BetreuungEingeschränkt; keine expliziten Vorgaben zur digitalen Betreuung.Erweiterte Nutzung explizit erlaubt (bis zu 1/3 regulär, max. 50% unter bestimmten Bedingungen).Verbesserung durch mehr Flexibilität, jedoch strenge Vorgaben und notwendige technische Voraussetzungen.

Fazit der praktischen Auswirkungen auf Unternehmer:

Die neue DGUV Vorschrift 2 (2024) bedeutet für Unternehmer nicht nur einen erheblichen zusätzlichen Qualifikations- und Verwaltungsaufwand, sondern birgt gleichzeitig das Risiko, bei Nichterfüllung der neuen Anforderungen rechtlich belangt zu werden. Die verpflichtende branchenspezifische Zusatzqualifikation („Lernfeld 6“) könnte zudem zu erheblichen Verzögerungen bei der Bestellung neuer Sicherheitsfachkräfte führen, was wiederum in der Praxis rechtliche und wirtschaftliche Unsicherheit schafft. Gleichzeitig bietet die klarere Regelung zur Nutzung digitaler Betreuung jedoch auch die Chance, den Arbeitsschutz flexibler zu gestalten. Insgesamt überwiegen aus Unternehmersicht jedoch derzeit die zusätzlichen Belastungen, Risiken und organisatorischen Herausforderungen gegenüber den Vorteilen.

7. Kritische Würdigung und Empfehlungen

Zum Abschluss der Betrachtungen der neuen DGUV Vorschrift 2 (2024) sollen hier die zentralen Kritikpunkte nochmals kompakt zusammengefasst und klare Empfehlungen für eine praxisnahe und rechtssichere Neuregelung ausgesprochen werden.

Zusammenfassung der zentralen Kritikpunkte

1. Verfassungsrechtliche Bedenken

Die verpflichtende Einführung des neuen branchenspezifischen Lernfeldes 6 stellt einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und möglicherweise auch in die Hochschulautonomie (Art. 5 Abs. 3 GG) dar. Diese Eingriffe erscheinen hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit äußerst fraglich:

  • Die zusätzliche UVT-Qualifikation ist gegenüber einem akademischen Abschluss möglicherweise nicht notwendig und verhältnismäßig.
  • Das Monopol der UVT für diese Qualifikation könnte die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Berufsausübung unverhältnismäßig einschränken.

2. Praxisferne der neuen Regelungen

Die Neuregelungen verursachen in der betrieblichen Praxis erhebliche Herausforderungen und könnten somit an den realen Bedürfnissen der Unternehmen vorbeigehen:

  • Zusätzliche organisatorische und finanzielle Belastung für Arbeitgeber durch die Pflicht zur branchenspezifischen UVT-Qualifikation.
  • Verzögerungen bei der Bestellung neuer Fachkräfte durch begrenzte Kapazitäten der UVT könnten die zeitnahe Erfüllung gesetzlicher Anforderungen gefährden.
  • Die generelle Anhebung der Anforderungen ohne ausreichende Kapazitäten der UVT ist aus Sicht vieler Unternehmen und Fachkräfte praxisfern.

3. Mögliche Stärkung der Monopolstellung der UVT

Die ausschließliche Kompetenz der UVT, das verpflichtende Lernfeld 6 anzubieten, schafft ein faktisches Ausbildungsmonopol:

  • Wettbewerb und Pluralismus in der Aus- und Weiterbildung im Bereich Arbeitsschutz werden stark eingeschränkt.
  • Hochschulen und private Bildungsträger verlieren in diesem Bereich faktisch an Bedeutung, was langfristig die Qualität der Ausbildung und Weiterbildung beeinträchtigen könnte.

Überprüfung der Frage: „Hat die DGUV gute Arbeit geleistet?“

Ausgehend von den hier betrachteten Punkten zeigt sich, dass die DGUV Vorschrift 2 in ihrer aktuellen Neufassung (2024) trotz sicherlich guter Intentionen erhebliche Mängel aufweist:

  • Fachlich: Die Einführung eines zusätzlichen branchenspezifischen UVT-Lehrgangs (Lernfeld 6) stellt die akademische Qualifikation von Sicherheitsingenieuren unnötig in Frage und führt zu einer Doppelbelastung ohne klar nachgewiesenen Mehrwert.
  • Rechtlich: Verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 5 Abs. 3 GG (Hochschulautonomie) bestehen ernsthaft. Diese rechtlichen Risiken hätten im Vorfeld der Neufassung gründlicher geprüft werden müssen.
  • Organisatorisch: Die begrenzten Kapazitäten der UVT, die erhöhte Belastung der Arbeitgeber und die daraus resultierenden Engpässe verdeutlichen einen erheblichen Mangel an Praxisnähe und eine Unterschätzung der organisatorischen Realität der Unternehmen.

Insgesamt ist daher kritisch zu hinterfragen, ob die DGUV mit dieser Neuregelung tatsächlich „gute Arbeit“ im Sinne eines wirksamen und praxistauglichen Arbeitsschutzes geleistet hat.

Klare Empfehlungen für eine praxisnahe und rechtssichere Neuregelung

Um die hier aufgezeigten Probleme zu lösen und die DGUV Vorschrift 2 wieder praxisnah und rechtssicher zu gestalten, sollten die folgenden Empfehlungen umgesetzt werden:

BereichProblem der aktuellen RegelungEmpfehlung für eine praxistaugliche Neuregelung
Qualifikationsanforderungen SiFaVerpflichtendes Lernfeld 6 bei UVT (Monopol) erschwert Zugang und Anerkennung akademischer QualifikationenFreiwillige branchenspezifische Qualifizierung, Anerkennung anderer Anbieter und Hochschulabschlüsse, Vermeidung von Monopolen
Verfassungsrechtliche VereinbarkeitRisiko eines Verstoßes gegen Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 5 Abs. 3 GG (Hochschulautonomie)Klare rechtliche Prüfung und ggf. Korrektur, Verzicht auf verpflichtendes UVT-Monopol, Anerkennung bestehender akademischer Abschlüsse
Digitale BetreuungStrenge Vorgaben, noch relativ limitierte NutzungAusbau digitaler Betreuung bei Sicherstellung des Schutzniveaus, flexible und praxisnahe Vorgaben, Nutzung etablierter digitaler Lösungen
ÜbergangsregelungenBestandsschutz vorhanden, aber unklare Regelungen für neue Verträge und ÜbergangsfristenKlarstellung und großzügige Übergangsfristen für Unternehmen und SiFa, umfassende Information und Beratung durch UVT
Kapazitäten und Verfügbarkeit der UVT-LehrgängeMögliche Engpässe durch begrenzte UVT-Kapazitäten für Lernfeld 6Erweiterung der zugelassenen Bildungsträger, Kooperation mit Hochschulen und privaten Anbietern, Aufbau ausreichender Kapazitäten

Abschließende Bewertung:

Die kritischen Aspekte der neuen DGUV Vorschrift 2 sind deutlich und substanziell. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Bedenken, der Praxisferne sowie der Gefahr eines UVT-Monopols erscheint eine zeitnahe Korrektur der Regelungen geboten. Ziel einer überarbeiteten Vorschrift sollte es sein, fachliche Qualität sicherzustellen, zugleich aber auch die bewährten akademischen Abschlüsse anzuerkennen, Wettbewerb bei der Aus- und Weiterbildung zu gewährleisten und für Unternehmer und Fachkräfte eine praxistaugliche Umsetzung sicherzustellen.

Eine klare Handlungsempfehlung an die verantwortlichen Stellen (Gesetzgeber, DGUV, UVT) lautet daher, die neuen Regelungen kritisch zu prüfen und möglichst kurzfristig eine praxistaugliche und verfassungsrechtlich unbedenkliche Anpassung vorzunehmen.

8. Fazit

Abschließende Beurteilung:

Die Neufassung der DGUV Vorschrift 2 (2024) verfolgt das grundsätzlich legitime Ziel, durch eine verpflichtende branchenspezifische Zusatzqualifikation („Lernfeld 6“) die Qualität und Sicherheit in der betrieblichen Arbeitsschutzberatung zu verbessern. Eine eingehende fachliche und juristische Analyse zeigt jedoch, dass diese Neuregelung erhebliche Probleme und Bedenken aufwirft:

BewertungskriteriumErgebnis der Prüfung
Fachliche Notwendigkeit der ZusatzqualifikationFraglich. Akademische Abschlüsse (z. B. Sicherheitsingenieure) bieten umfassende und tiefergehende Kompetenzen als kurze UVT-Kurse.
Verhältnismäßigkeit (Art. 12 GG – Berufsfreiheit)Bedenklich. Verpflichtende UVT-Lehrgänge stellen einen erheblichen Eingriff dar, der möglicherweise unverhältnismäßig ist, da mildere Alternativen bestehen.
Eingriff in die Hochschulautonomie (Art. 5 Abs. 3 GG)Wahrscheinlich gegeben. Der zusätzliche Zwang zur UVT-Qualifikation beschneidet faktisch die Hochschulen in ihrer Kompetenz zur eigenständigen Ausgestaltung der Studiengänge.
Gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (ASiG, SGB VII)Zweifelhafte Grundlage. §§ 7, 15 und 18 ASiG sehen zwar Qualifikationsanforderungen und Ausnahmen vor, rechtfertigen aber nicht klar die Einführung eines Ausbildungsmonopols der UVT.
Praktische Auswirkungen auf Unternehmen und SiFaProblematisch. Erhöhte Kosten, längere Wartezeiten und organisatorische Schwierigkeiten aufgrund eingeschränkter Kapazitäten der UVT.

Insgesamt ergibt sich ein kritisches Bild der neuen DGUV Vorschrift 2:
Die Regelung schafft nicht nur erheblichen organisatorischen und finanziellen Zusatzaufwand, sondern sie könnte sogar rechtlich angreifbar sein. Statt der gewünschten Qualitätssteigerung könnten unnötige bürokratische und rechtliche Hürden entstehen, die Betriebe und Sicherheitsfachkräfte belasten und deren praktische Arbeit erschweren.

Ausblick und Forderungen zur weiteren rechtlichen und organisatorischen Entwicklung:

Vor dem Hintergrund der dargestellten Kritikpunkte ist dringend zu empfehlen, die aktuelle Fassung der DGUV Vorschrift 2 rechtlich und organisatorisch einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen und zügig zu überarbeiten.

Folgende Forderungen und Empfehlungen für eine praxistaugliche und rechtssichere Neuregelung sind dabei zentral:

1. Klarstellung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (§ 15 ASiG)

  • Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sollte mit Zustimmung des Bundesrates prüfen, ob die vorliegende neue DGUV Vorschrift 2 im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung durch § 15 ASiG bleibt oder ob eine Konkretisierung erforderlich ist.
  • Gegebenenfalls Anpassung und Klarstellung des ASiG zur Vermeidung rechtlicher Unklarheiten.

2. Überprüfung und Anpassung des verpflichtenden Lernfeldes 6

  • Umwandlung des Lernfeldes 6 von einer verpflichtenden Maßnahme in eine freiwillige Fortbildungsempfehlung.
  • Anerkennung akademischer Abschlüsse (insbesondere Sicherheitsingenieure) als grundsätzlich ausreichend, um unnötige Doppelqualifikationen zu vermeiden.

3. Öffnung und Vermeidung von Monopolbildung bei der Qualifikation

  • Zulassung weiterer Bildungsträger (Hochschulen, private Anbieter) für die Durchführung branchenspezifischer Qualifikationen, um Wettbewerb und Qualität zu fördern und Engpässe zu vermeiden.

4. Anpassung und Verbesserung der digitalen Betreuungsmöglichkeiten

  • Weiterentwicklung der digitalen Betreuung mit flexibleren, weniger restriktiven Vorgaben, um Arbeitgebern und Sicherheitsfachkräften effiziente, praxistaugliche Lösungen zu ermöglichen.

5. Erweiterung und Sicherstellung ausreichender Kapazitäten der UVT

  • Sicherstellung ausreichender organisatorischer und personeller Ressourcen bei den UVT, falls bestimmte branchenspezifische Lehrgänge zwingend erforderlich bleiben sollten.

Abschließende Forderung und Fazit:

Die Neufassung der DGUV Vorschrift 2 ist in ihrer derzeitigen Form aus fachlicher, rechtlicher und praktischer Perspektive äußerst kritisch zu bewerten. Statt der gewünschten Verbesserung könnte sie neue Probleme schaffen. Der Gesetzgeber und die zuständigen Stellen (DGUV, UVT) sollten daher zeitnah handeln, um die dargestellten Probleme zu lösen und eine rechtssichere, praxisorientierte und qualitativ hochwertige Betreuung im betrieblichen Arbeitsschutz zu gewährleisten.

Nur so lässt sich sicherstellen, dass die DGUV Vorschrift 2 ihrem ursprünglichen Ziel – mehr Sicherheit und Qualität im Arbeitsschutz – tatsächlich gerecht wird.

Abschließender Hinweis:

Diese Darstellung und Bewertung basiert ausschließlich auf den Originaltexten der DGUV Vorschrift 2 (alt und neu), dem ASiG, SGB VII sowie dem Grundgesetz. Für eine abschließende, rechtlich verbindliche Bewertung oder konkrete juristische Fragestellungen empfiehlt es sich, die Originalquellen selbst zu konsultieren oder eine individuelle juristische Beratung einzuholen.

Donato Muro, Jurist (LL.M. Compliance and Corporate Security)